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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0414

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Nils (f 1280). Er beförderte sehr das Ansehen des Ari-
stoteles, indem er denselben in 21 Foliobänden ganz durch-
kommentirte; von seinen Feinden jedoch wurde er deshalb
simia Aristotelis genannt. Größer, als Albertus Magnus,
war sein durch Scharfsinn ausgezeichneter Schüler Tho-
mas von Aquino (1224—1274), der einflußreichste aller
Scholastiker, die Hauptstütze der nach ihm genannte» phi-
losophisch-theologischen Sckule der Thomisten. Wie glück-
lich er den Geist der aristotelischen Schriften aufgefaßt
hat, bezeugen seine gründlichen Kommentare. Während
nun Thomas schon durch seine würdevolle hohe Gestalt
imponirt, hat auch noch Albertus den Arm um seine Schul-
icrn geschlungen, zum Beweise, daß er den Schüler sehr-
lieb hat und große Erwartungen von ihm hegt. Wenn
Raphael seinem gelehrten Freunde, dem nachherigen Kar-
dinal Bembo, ans dem Gemälde einen Ehrenplatz anwci-
sen wollte, so konnte er keine bessere Wahl treffen, als
in der Person des heiligen Thomas von Aquino gesche-
hen ist. Im Rücken der genannten sieben Anhänger des
Aristoteles stehen noch zwei Gelehrte, ein älterer und ein
jüngerer, aber in abgewaudter Richtung und mit finsteren,
ungünstigen Mienen nach dem großen Philosophen hinüber-
blickend. Wahrscheinlich ist cs Duns Scotus (1275—1308)
mit seinem Schüler Occam, die Hauptgcgncr der Thomi-
sten und Verfasser des von diesen bekämpften realistischen
Systems.

Nachdem wir das stattliche Gefolge des Plato und
Aristoteles in der von Raphael entworfenen Zusammen-
stellung gemustert haben, bleibt uns unter den philosophi-
schen Sekten auf dem Gemälde nur noch eine kleine Nach-
lese übrig. Es sind, nach der Zeitfolge geordnet, die cy-
nische, stoische, epikureische und die alle andern bekämpfende
skeptische Schule. Mit Recht aber hat Raphael ihre Rang-
bestimmung von der Frage abhängig gemacht, ob ihnen
mehr oder weniger wissenschaftliches Leben innewohnt. Da
nun Antislhenes, obgleich noch ein Schüler des Sokrates,
alle Wissenschaft verachtete, so hat er, und zwar noch mit
Rücksicht auf seine persönliche Würde, am E„dc der Phi-
losophenreihe seinen Platz erhalten, seinem allbekannten
Schüler Diogenes dagegen, welcher seine cynischen Witze
dem Volke auf der Straße ohne Scheu zum Besten gab,
ist diese Ehre nicht zu Thcil geworden. Letzterer hat sich,
den geschichtlich merkwürdigen, später entbehrten Napf zur
Seite, mitten auf den Stufen des Tempels keck und be-
haglich hingestreckt und liest, um sich ein gelehrtes Ansehen
zu geben, in einem Buche. Mit ihm bildet der Eudämo-
niker Epikur (342—270) einen trefflichen Gegensatz. Wir-
schen diesen Zierling, schön gekleidet und frisirt, gemesse-
nen Schrittes vor dem unrüstig daliegcndeu Cyniker vor-

massino und Areil als eine grübelnde, kränkliche Mannesgcstalt,
bei Bolpato als ein wohlgenährter, aufgedunsener Dickkops, bei
Mantuano und auf dem zum Gemälde von Italien gehörenden
Stahlstich als ein Frauenzimmer, bei Mengs als die jüngste und
kleinste Person »litten in der ganzen Reihe der Aristotelikcr mit
der Gesichtsbildnng einer Kindes. So auffallend diese Wider-
sprüche sind, so natürlich lassen sich dieselben durch die Unkundc
und Rathlosigkeit der Zeichner erklären, zumal, wenn man bei
der tragischen Methamorphose Abälard's die Ausschlüsse berück-
sichtigt, toelche in dieser Hinsicht die Physiologie uns giebt.

bei die Stufen des Tempels emporsteigen und, mit beiden
ausgestrcckten Händen nach jenem ungeschlachten Menschen
zurückweisend, an einen hinter dem Auditorium des Aristo-
teles einsam dastehenden ältlichen Mann mit der Frage
hinantreten, wo die Lehrer der Philosophie zu finden seien.
Dies erinnert uns daran, daß, als Epikur noch bei den
Grammatiker Pamphilius in die Schule ging und von diesem
den Vers Hesiod's hörte, worin das Chaos als das erste
aller geschaffenen Dinge angeführt wird, er die Frage auf-
warf, wer denn das Chaos geschaffen habe, da es doch
das erste gewesen sei. Der Grammatiker verwies ihn an
die Philosophen, welche Epikur denn auch seitdem mit Eifer-
besuchte, bis er nach vielfachen, zu seiner Ausbildung un-
ternommenen Reisen eine eigene Schule iu Athen eröfsnetc,
in welcher er mit großem Beifall lehrte. Aber obgleich
Epiknr das höchste Gut nur in beständigem Wohlsein suchte,
übrigens kcinesweges unsittlich lebte, vielmehr die Tugend
als ein Mittel zum glücklichen Leben betrachtete, während
der Cyrenaiker Aristipp mit äußerem Anstande der Ge-
nußsucht fröhnte, machten doch viele Epikureer sich und
ihrem Meister so wenig Ehre, daß „ein epikurisches Schwein"
zum Sprüchwort geworden ist. Ein Epikureer konnte also
auf dem Gemälde nicht gut einen Platz finden, wohl aber
Epikur selbst. Dieser nun wurde von dem aus Cypern
eingewanderten Stoiker Zeno (340—260) und seinem An-
hänge bekämpft. Zeno hatte sich in Athen der Philosophie
gewidmet, da ihm aber weder die Lehren der Cyniker, noch
die der Dialektiker und Akademiker zusagten, so hatte er
ein neues System gebildet, welches ein gemäßigter Cynis-
mus ist. Er hat daher neben Antisthenes einen angemesse-
nen Standort erhalten. Die bisher genannten Stifter
von philosophischen Schulen hatten alle so viele produk-
tive Kraft, daß sic anstatt der von ihnen bemängelten Sy-
steme ein neues zu schaffen vermochten. Anderen Kritikern
war aber diese Fähigkeit versagt; sie blieben mit ihren
Zweifeln bei der Negation stehen und kamen in ihrer Trost-
losigkeit endlich dahin, daß sie Alles bezweifelten. Solche
philosophische Naturen nannte man Skeptiker. Weil diese
insbesondere oft die bcdauernswerthc Wahrnehmung mach-
ten, daß so manche Jünger der Philosophie die Lehrmei-
nungen ihrer Meister ohne selbständige Prüfung blindlings
annahmen und sich mit dem inrare in verba magistri be-
gnügten , so mußten sie sich zum Spott und Widerspruch
und zur systcmatischcu Darstellung ihrer eigenen Ansich-
ten und Grundsätze herausgefordcrt fühle». Eitic solche
Scene bietet uns das Gemälde an den beiden noch übri-
gen, zwischen Zeno und Pamphilius befindlichen Personen
dar. Wir sehen hier einen gutmüthigen Lehrling der Phi-
losophie, mit dem Rücken an eine Säule gelehnt, eifrig
damit beschäftigt, die Lehren, welche er so eben im Hör-
saale seines Meisters vernommen hat, mit ängstlicher Treue
aufzuzcichneu. Aber iu der Nähe steht ein Mann, welcher,
die Arme und den grübelnden Kopf auf denselben Säu-
lenfuß gestützt, mitleidig lächelnd aus das Geschreibsel des
bethörten Jünglings hinabblickt. Wir haben hier also
das leibhaftige Bild eines Skeptikers. Ilebrigcns ist eine
aufrichtige Skepsis, wie sic dem Sokratiker Pyrrho, dem
Begleiter Alexanders des Großeti auf seinem Zuge nach
Indien, nachgerühmt wird, ehrcnwerth, sic kann sogar dem
 
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