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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0032

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gesetzt werden, daß das Wort „Styl" aus dem Griechischen
stammt und den Stift oder Griffel bedeutet, mit dem die Alten
ihre Schriftzeichen in die Wachstafeln eingruben; erst später ge-
brauchte man den Kalamus (Rohr) zum Schreiben auf Perga-
ment. In diesem ersten mechanischen Wortsinne heißt also „Styl"
soviel wie unser deutsches „Hand" in dem Ausdruck „er schreibt
eine gute Hand", während die Bedeutung von „er schreibt einen
guten Styl" schon eine wesentlich andere, nämlich auf den In-
halt bezügliche ist. — Jene Manipulation des Schreibens als
eines Ein grab ens (daher ygayw, eigentlich — auch etymo-
logisch — mit „graben" identisch) führt uns nun von selbst auf
ein zweites griechisches Wort, das die wahre Grundbedeutung
des Styls, auch in dem auf die Kunst übertragenen höheren
Sinne desselben, in ganz naturgemäßer Weise verdeutlicht:
dies Wort ist das griechische xagaxT^Q (Charakter, von
einritzen), eigentlich das Eingegrabene, Eiugeprägte,
dann die ausgeprägte Eigenthümlichkeit, das typische
Merkmal. „Charakter", in jenem ursprünglichen Sinne, ist also
das Produkt der Thätigkeit des Styles, weiterhin aber, indem
man das Produkt mit der Thätigkeit identificirte, ward „Styl"
selbst in dem Sinne von Charakter gebraucht. Jedoch, wenn man
sich die Bedeutung beider Ausdrücke in ihrer specifischen Ver-
schiedenheit zum Bewußtsein bringt, so wird man erkennen, daß
Charakter ausschließlich objektive Bedeutung hat, während in
dem Ausdruck Styl mehr oder weniger immer die Beziehung auf
das producirende Subjekt mitklingt. So kann mau also sagen,
daß der Styl, welcher sich in einem Werke offenbart, der ihm
durch das schaffende Subjekt ausgeprägte Charakter ist, während
der Charakter eines Gegenstandes schlechthin sein objektives Wesen
ansdrückt. Bei Naturgegenständen ist es deshalb nicht ange-
bracht von Styl zu sprechen*); auch der Mensch selbst hat nur
Charakter, wenn vom Ausdruck seines Wesens die Rede ist,
Styl aber dann, wenn von seiner Thätigkeit als schaffenden
Subjekts gesprochen wird; und zwar ist es dann das Werk
selbst, in dem sich der Styl offenbart, der seinerseits, von jener
Beziehung auf das Subjekt losgelöst, zugleich Charakter, d. h.
objektives Gepräge seines Wesens ist.

Genau genommen, ist also Styl und Charakter völlig
Dasselbe dem Inhalt nach, nur nach verschiedenen Beziehungen
betrachtet; dieser Inhalt aber ist mit einem Worte Gepräge
des inneren Wesens. Hieraus folgt also zunächst als Be-
dingung des Styls, daß ein „inneres Wesen", d. h. ein leben-
diger Organismus, vorhanden sei, sodann, daß dasselbe in der
äußeren Erscheinung auf prägnante Weise zum Ausdruck ge-
lange. Die Konsequenzen, welche sich aus diesem Satze ergeben,
sind von großer Tragweite, und ihre Wahrheit bethätigt sich auf
unverkennbare Weise vor Allem darin, daß, wie verschieden nun
auch die Sonderbedeutuugen des Worts „Styl" sein mögen, sie
doch sämmtlich auf jene Grundbedeutung zurückgeführt werden
können. Die Eingangs erwähnten Bedeutungen, z. B. „roman-
tischer", „klassischer", „historischer" u. s. f. Styl, lassen sich sämmt-
lich ans jener einfachen Definition erklären. Die Vorfrage bei allen

*) Es ist nur eine scheinbare Ausnahme, wenn Künstler von dem Styl
einer Gegend — etwa der römischen Campagna — reden, denn sie betrachten
dann die Natur lediglich unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Darstell-
barkeit, im Grunde also als Kunstgegenstand.

nämlich ist: Besitzt der Klassicismus, die Romantik u. s. f. die
Bedeutung eines lebendigen Organismus, ist das innere Wesen
dieser Richtungen ein substanziell berechtigtes? Dann besitzen sie
auch die Fähigkeit der Stylisirung. So die Historie, das Genre,
die Landschaft, ein bestimmter Meister u. s. s.; sie alle sind des
Styls fähig, sofern sich in ihnen ein bestimmter, geistig-gesättigter
Charakter ausprägt. Ist dies nicht der Fall, oder wird ein
Styl äußerlich an eine Sphäre gebracht, deren Inhalt ihm nicht
adäquat ist, so kann von Styl nicht mehr die Rede sein; das
Gepräge ist uncharakteristisch, nur äußerlich angeheftet, mechanisch
damit verbunden: der Styl wird — zur Manier. — Selbst
in Wendungen des konventionellen Lebens wie diese: „er hat die
Manieren eines Hofmann's", liegt instinktiv die Empfindung jener
Differenz zwischen dem echten Hofmann, dessen Wesen sich in
der äußeren Erscheinung ausdrückt, und der blos äußerlichen
Erscheinung ohne dieses innere Wesen.

Die nämliche Differenz liegt in den beiden Ausdrücken
„Styl" und „Manier" auch hinsichtlich der künstlerischen Pro-
duction. Die Manier ist charakterlos, weil sie nicht organisches
Produkt innerer Beseelung, sondern nur mechanische Aeußerlichkeit
ist. Der Charakter ist der wahre Prüfstein für den Unterschied
zwischen Styl und Manier, denn das Charakteristische ist
im Reiche der Kunst das allein und ausschließlich
Schöne. Hegel definirt die Karrikatur als die „Charak-
teristik des Häßlichen"; sie ist aber vielmehr die Verhäß-
lichung des Charakteristischen. Ein bedeutender Mann
z. B. hat eine große Nase; wird sein Portrait karrikirt, indem
diese große Nase bis zur Abnormität protenzirt wird, während
sonst die Züge eine charakteristische und geistvolle Aehnlichkeit be-
wahren, so findet eine Verhäßlichung des Charakteristischen statt,
aber eine Verhäßlichung, die, weil sie künstlerisch beabsichtigt ist,
nämlich auf eine humoristische Wirkung abzielt, immer noch inner-
halb des Kunstschöuen, also selber schön bleibt. Aber die große
Nase ist an jenem bedeutenden Mann nur etwas Aeußerliches,
Zufälliges: nur dieses fällt dem Humor anheim, der also an
der Bedeutung als solcher nicht rüttelt und daher harmlos bleibt.
Nur unbedeutende Leute ärgern sich daher über ihre Karrikaturen,
ein Bismark lacht über die drei stereotypen Haare auf dem
Schädel seines Kladderadatsch - Portraits selber mit. Das Ko-
mische nicht nur, sondern auch sein Gegensatz, das Tragische,
würden gänzlich aus dem Gebiet des Kunstschönen herausfallen,
wenn dieses das Häßliche, d. h. die Disharmonie, den Zwie-
spalt, das Leiden, den Schmerz, und sein Gefolge: die Ver-
zerrung, die Verzweiflung u. s. f., ausschlösse.

Nach diesen vorläufigen Bemerkungen wollen wir nun einige
flüchtige Blicke auf die verschiedenen Gebiete der bildenden Kunst
werfen, um den Unterschied der Style in ihrer Besonderung und
namentlich den zwischen Styl und Manier überhaupt in's
Auge zu fassen. Diese nämlich werden von denen, welche in
der Erscheinung nur die Erscheinung sehen und sie nicht als Aus-
druck eines inneren Wesens begreifen, oft verwechselt. Man
nennt Styl, was oft nur Manier ist, und spricht umgekehrt von
Manier, wo die würdigere Bezeichnung Styl angewandt werden
müßte. Aeußerlich allerdings haben sie viel Verwandtes, nämlich
darin, daß sie beide eine gewisse typische Eigenthümlichkeit der
kompositionellen und technischen Behandlung eines künstlerischen
 
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