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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0049

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sprach zwischen dem durch äußerliche Aehnlichkeit immerhin er-
kennbaren Inhalt mit der nnadäqnaten Form. Keine Richtung
ist daher leichter zu persiffliren als jenes Theaterpathos in der
Historienmalerei; man braucht eben nur ein kleinwenig zu outri-
ren, auf die Gespreiztheit des Wesens einen schärferen Accent
zu legen, die mildernden Züge fortzulassen: und die Karrikatur
ist fertig. Ein wirklicher Styl läßt sich nicht karrikiren; man ver-
suche es einmal an der „Sixtinischen Madonna" von Raphael,
an der „Amazonenschlacht" von Rubens, an dem „Abend-
mahl" von Leonardo da Vinci und — um auch ein paar
Beispiele aus der Gegenwart zu nehmen — an dem „Hemi-
cycle" von Delaroche oder den „Apokalyptischen Reitern" von
Cornelius.

Vielleicht ist es mit das Gefühl dieser Karrikatur-Gefähr-
lichkeit gewesen, warum die heutige Historienmalerei von jener
sentimental-pathetischen Hohlheit so schnell znrückgekommen ist.
Gänzlich ist sie indeß noch nicht verschwunden, und selbst Les-
sing ist nicht völlig frei von deklamatorischem Beigeschmack.
Leider läßt sich ein wahrhaft inhaltsvoller Styl nicht auf den
Akademien lernen; er stammt zunächst aus dem Enthusiasmus
für die Idee und aus dem Durchdrungensein von derselben, und
der Sinn dafür kann nur durch eine Kultur der künstlerischen
Empfindung, wie sie ein einsichtsvolles Studium der Natur und
der großen Meister gewährt, geweckt und ausgebildet werden.
Es ist dies einer der vielen wichtigen Punkte künstlerischer Aus-
bildung, welche in dem Erziehungssystem unserer Akademien völlig
ignorirt werden.

Die praktische Lehre, welche man aus der zum Stichwort
gewordenen „altdüsseldorfer Sentimentalität" gezogen, hat daher
bis jetzt ein blos negatives Resultat geliefert, nämlich die Furcht,
in eine ähnliche, sich spreizende Rhetorik zu verfallen. Statt
daß aber der Sinn für wirkliche Stylreinheit und Stylgröße
dadurch gehoben und die Empfindung dafür kultivirt worden
wäre, hat jene Furcht zunächst nur eine gewisse Ernüchterung
in der Behandlung der Historienmalerei zu Wege gebracht, welche
für die mangelnde Noblesse der Linie durch glänzendes Kolorit
und realistische Wahrheit der Farbe zu entschädigen sucht, aber
dabei, was den Ausdruck, die Haltung, den Charakter der Fi-
guren, überhaupt das kompositionelle Gepräge betrifft, kalt und
genremäßig auftritt. Diese Richtung haben hauptsächlich die Bel-
gier, vor Allem Gaillait, sodann de Keyser, de Biefve rc.
eingeschlagen, denen unter den Deutschen besonders Piloty und
seine Schule folgen. Freilich wählten sie auch, wenigstens die
Belgier, meist Motive, in denen die dramatische Actiou nur
eine untergeordnete Rolle spielt oder auch geradezu einen genre-
mäßigen Charakter hat. Auf diese Art von Motiven, die be-
reits der Sphäre angehören, welche man als „historisches Genre"
zu bezeichnen pflegt, paßt denn auch die etwas indolente Weise
der Komposition, welche sogar nicht selten einen Anklang an ein
gewisses Stylgepräge hat.

Man erinnere sich z. B. des bekannten Gemäldes von
de Keyser „Dante im Atelier von Giotto". Zunächst ist klar,
daß es sich dabei durchaus nicht um ein eigentliches historisches
Motiv handelt. Dante und Giotto gehören allerdings der
Geschichte an; aber sie könnten ebensogut miteinander spazieren
gehen und solche That könnte historisch bedeutsamer erscheinen als

die dargestellte Scene. Und warum müssen es gerade Dante und
Giotto sein? Der Portraitähnlichkeit wegen etwa? Dann reichte
es also vollständig hin, auf einem Bilde ein historisches Portrait
anzubringen, um das Bild zu einem Historienbilde zu stempeln?

— Wir haben es also lediglich mit einem historischen Genre-
bilde zu thun, was den übrigens ziemlich inhaltslosen Vorgang
betrifft. Um aber diesem Vorgang dennoch ein gewisses Styl-
gepräge aufdrücken zu können, das dem Bilde den kompositionellen
Charakter eines Historiengemäldes zu verleihen im Stande wäre,
brachte der Künstler eine Modellgruppe für die Madonna mit
dem Christuskinde und dem kleinen Johannes darauf an, wonach
Giotto zeichnet, und setzt nun zu der für diese Gruppe gebotenen
Stylisirung die Stellung der übrigen Personen, namentlich des
Dante, in eine gewisse formelle Beziehung. Dies ist geschickt
kombinirt, aber weder in ursprünglicher Weise empfunden, noch
in Begeisterung für die Idee koncipirt: statt Komposition eben

— Kombination.

Was wir an diesem einen Beispiel nachwiesen, läßt sich
fast ans die ganze Kompositionsweise in unserer Historienmalerei
anwenden: vielfache Geschicklichkeit im Kombiniren, routinirte
Technik, „geniales" Machwerk •— aber, aber: das Beste fehlt,
das innerliche Durchdrungensein von der Gewalt der Idee und
die daraus sich mit Hülse tüchtigen geschichtlichen Wissens ent-
wickelnde Kraft dramatisch-historischer Komposition. Diese beiden
Momente aber sind die Grundbedingung für Das, was wiv
unter Styl in der Geschichtsmalerei verstehen.

Unter den Künstlern ist vielfach die Meinung verbreitet,
der Styl bestehe noch in etwas Anderem als in der einein sub-
stanziellen Ideengehalt ädaquaten Gestaltungsweise, etwa in einem
besoudern Form- oder Farbengepräge, welches zu dem Inhalt
als solchem in keiner direkten Beziehung steht, ja sich gegen den-
selben indifferent verhalten kann. Man denkt sich — namentlich
wenn man dabei den koloristischen Styl im Auge hat — solche
äußerliches Gepräge als eine Art Spiritus, der über die Dar-
stellung ausgegossen und dessen Wirkung so berauschend sei, daß
das entzückte Auge bis ans den positiven Inhalt des Dargestellten
hindurchzudringen weder Verlangen trage noch im Stande sei.

Es liegt hierin ein unsrer Ansicht nach gefährlicher Irr-
thum. Die etwas vornehme Weise, mit welcher Künstler oft
aus das bloße „Was" der Darstellung herabsehen, um dem
„Wie" eine um so größere Aufmerksanckeit zu widmen, entspringt
zunächst aus einer Verwechslung des blos objektiven Thatbestandes
des Motivs mit dem ideellen Gehalt desselben. Jener ist aller-
dings nicht die Hauptsache, oder doch nur in sofern, als er
solchen ideellen Gehalt besitzt. Zwischen Beiden, obschon sie'
scheinbar dasselbe bedeuten und jedenfalls wie Leib und Seele
zusammengehören, herrscht gleichwohl ein sehr wesentlicher Unter-
schied. In keinem Falle kann zugegeben werden, daß der in einem
Motiv der künstlerischen Intention nach sich ansprägende Gedanke
mit dem objektiven Thatbestand, mit der „Fabel" des Sujets,
identisch sei. Wie ärmlich z. B. ist in den meisten Shakespeare'-
schen Lustspielen, ja selbst in einigen Trauerspielen die bloße
„Fabel", und was hat der Dichter daraus zu machen gewußt!.
Hier ist der Uebergang des Was zum Wie deutlich zu er-
kennen. Werfen wir einen Blick auf die bildende Kunst. Das-
selbe Motiv, z. B. ein biblisches, kann ohne Zweifel — je nach
 
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