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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0057

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und Allgemeinheit ungleich mehr Gewicht und Bedeutung hat,
als in den niederen, da mit andern Worten das Reich allge-
mein-menschlicher Ideen in jenen Sphären auf specielle
Weise zur Erscheinung gelangt, so ist es begreiflich, daß in
ihnen auch die künstlerische Form, der Styl, eine höhere, speci-
fischere Bedeutung hat, ja daß er hier vorzugsweise und pur
excellence „Styl" heißt.

Dies schließt aber keineswegs aus, daß nicht auch im Genre
und iü der Landschaft — und namentlich in der letzteren —
von Styl die Rede sein könnte. Allein hier nimmt dieses Wort
eine wesentlich andere Bedeutung an. In den beiden Ausdrücken
„Stylisirtes Historienbild" und „Stylisirte Landschaft" bedeutet,
ohne daß man sich immer darüber genaue Rechenschaft giebt, der
Styl etwas wesentlich Verschiedenes. Der Grund liegt zunächst
darin, daß Historie und Genre sich mit dem objektiv Thatsäch-
lichen der menschlichen Welt, die Landschaft dagegen mit dem
subjektiven Reflex, den die Natur in die Anschauung des Künst-
lers wirft, als eigentlichem Gegenstände zu beschäftigen haben.
Oberflächlich betrachtet scheint zwar die Sache gerade umgekehrt
zu sein: die menschliche Welt ist, im Gegensatz zur Natur, die.
Welt des Subjekts, die Natur dagegen steht dem Menschen
lediglich als objektive Welt gegenüber. So aber fühlt nur Der-
jenige, welcher selber diesem Gegensatz angehört, nicht aber Der,
welcher ihn sich zum Bewußtsein bringt und sich denselben ob-
jektivirt.

Durch diese Objektivirung dreht sich das Berhältniß um.
Der Künstler und — können wir hinzusetzen — der Philosoph
(nur beide auf verschiedene Weise, nämlich der erstere intuitiv,
der zweite reflexiv) stellen sich ans dem unmittelbaren Zusammen-
hänge mit der Menschenwelt heraus und machen sie sich zum Ob-
jekt, d. h. objektiviren sie sich; in die Natur dagegen, die dem
gewöhnlichen Menschen blos „Außenwelt" ist, versenken sie sich,
fühlen sich in sie hinein, empfinden mit ihr und lassen nun diese
Empfindung der Natur als Reflex in ihrer Reproduction der
Natur wieder zum Vorschein kommen.

Eine wirklich objektive Naturauffassung ist, landschaftlich be-
trachtet, das aller Unpoetischste, was man sich denken kann. Es
giebt Maler, welche besonderen Werth darauf legen, daß man
einem Landschaftsgemälde vor Allem ansehen müsse, unter wel-
chem Breitegrade die Gegend gelegen sei, welche es darstellt, ob
die Felsen, die man darauf sieht, aus Quarz oder Granit u. s. s.
bestehen. Aber nicht darin liegen die wesentlichsten Unterschiede
des landschaftlichen Charakters, sondern in der Stimmung, welche
sich als Reflex der Empfindung des Künstlers darin wieder-
spiegelt.

Was also kann in der Landschaft unter „Styl" verstanden
werden? Handelte es sich in der Landschaftsmalerei lediglich um
möglichst treue Wiedergabe einer möglichst „schönen Gegend", so
könnte allerdings von Styl darin nicht die Rede sein; aber dann
hätten ausgetuschte Photographien den größten Kunstwerth und
die Kunst, gute Landschaften zu malen, wäre mehr eine Sache
der technischen Uebung als des künstlerischen Schaffens. In
der That, wenn wir die Landschaften, welche heutzutage gemalt
werden, unter diesem Gesichtspunkt betrachten, so müssen wir
uns sagen, daß die ungeheure Mehrzahl derselben nichts weiter
als „schöne Gegenden" darstellen wollen und daher lediglich Re-

sultate einer technischen Praxis, d. h. Produkte einer mehr hand-
werksmäßigen Routine sind. Das künstlerische Gefühl, welches
sich einerseits in dem liebe- nnd verständnißvollen Eingehen in
den Charakter der Landschaft, andrerseits in der originalen Auf-
fassung und Wiedergabe dieses Charakters offenbart, kommt bei
dieser schablonenartigen Malerei fast gar nicht in Betracht, und
daher erklärt sich, daß die Bilder dieser Schön-Gegend-Maler
fast alle einander so ähnlich sehen wie Zwillingsbrüder und daß,
selbst wo es sich um ganz verschiedenartige Motive handelt,
Stimmung und technische Behandlung bei allen fast dieselbe
bleibt. Diese Richtung wird in hervorragender Weise durch
Pape, Baumgärtner u. s. f. in Berlin und eine große
Zahl von Düsseldorfern vertreten. Uebrigens schließt diese Praxis
weder eine gewisse Feinheit in der Naturbeobachtung noch einen
Takt in der Wahl der Motive nach ihrer malerischen Wirkungs-
fähigkeit aus, denn auch diese Eigenschaften kann man sich bei
einiger Anlage durch Uebung aneignen. Die Natur ist ja ein
so dankbares Modell. Das kleinste Theilchen in ihr hat seinen
besonderen Reiz, und der Maler braucht nur einigen Geschmack
und Gefühl für diesen Reiz des Naturhaften mitzubringen, um
bei hinlänglicher Praxis in der Technik etwas Anziehendes —
für das große Publikum zu Stande zu bringen.

Von dieser mehr receptiven Haltung des Künstlers gegen-
über der Natur ist es nun bis zu dem entgegengesetzten Extrem
des vorwaltend spontanen Schaffens ein weiter Schritt. Es ge-
hört dazu jene ursprüngliche Kraft selbsteigner poetischer Auf-
fassung, welche in dem Naturmotiv nur den Anstoß zur Dar-
legung eines bestimmten dichterischen Gedankens findet und etwas
schafft, was über die Naturerscheinung hinaus ein unabhängiges,
rein geistiges Moment der Wirkung ettthält. Wenn wir diesen
Gegensatz — der sich übrigens in allen Kunstgebieten findet und
finden muß — als den der Naturalisten und Spiritualisten in
der Landschaftsmalerei bezeichnen, so sind damit die beiden direkt
auseinandergehenden Richtungen der Schön-Gegend-Malerei
und der stylisirten Landschaft charakterisirt. Einseitig sind
beide Richtungen dadurch, daß sie die beiden Momente der Natur-
realität und der Jdealisirung, welche gleiche Berechtigung haben,
je eins auf Kosten des andern zum Hauptzweck der Wirkung
machen: es muß also eine dritte zwischen ihnen befindliche Rich-
tung geben, die jene beiden-widerstrebenden Momente, nämlich
die objektive Naturwahrheit und die subjektive künstlerische Auf-
fassung, mit einander versöhnt — dies ist die Stimmungs-
landschaft.

Insofern nämlich die Stimmung, welche zunächst sich als
solche im Künstler selbst befindet, also etwas Subjektives ist, das
einen Gegensatz zum objektiven Naturmotiv bildet, mit dem
Charakter des letzteren in Uebereinstimmung ist, so kann sie auch
objektiv im Bilde zur Erscheinung kommen. Im Grunde wird
jede Naturanschauung wesentlich durch die Stimmung des Schauen-
den bedingt; für den Künstler kommt es aber darauf an, daß
er die seinige aus der Natur schöpfe, d. h. daß er den Cha-
rakter eines Motivs auf sich derartig wirken lasse, daß in ihm
eine Stimmung erzeugt wird, die er nun spontan und mit Be-
wußtsein bei der Darstellung im Bilde wiedererzeugt. Aus dieser
Wechselwirkung zwischen der Natur und dem künstlerischen Gefühl
entspringt allein jener Funke poetischen Schaffens, welcher in den

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