Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0097

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
aufweisen: der Künstler legt der Madonna den von Ewigkeit her
znm Versöhnungswerke bestimmten Heiland als frischen Knaben
auf die Arme, so daß derselbe mit der Mutter als Eins zu-
sammengehörig den ewigen Rathschlnß des Vaters zur An-
schauung bringt.

Demgemäß wird die Annahme nicht zu kühn erscheinen,
daß durch Raphael's größtes Kunstwerk die hochpoetische
Anschauung der dem heiligsten Akte des kirchlichen
Gottesdienstes zum Grunde liegenden Idee von der
Erlösung der Menschheit durch Christum objekti-
virt wird.

Nun wissen wir, daß Raphael dieses Bild, auf Bestellung
der schwarzen Benedictiner-Mönche zu Piacenza, im Jahre 1518
gemalt hat. Nicht minder ist bekannt, daß dieses Bild im
Jahre 1753, bis zu welcher Zeit es die Klosterkirche zu Pia-
cenza als Altarbild geziert hatte, nach Dresden hin verkauft
worden ist, wo es noch jetzt für die Perle der Gemäldegallerie
gehalten wird. Daß es ursprünglich zum Altarbilde bestimmt
gewesen sei, wird bezweifelt. Denn für den Bildrahmen, in
welchem es 1753 gefunden wurde, ist es zu hoch. In Folge
dessen hatte es, als man es statt eines früheren Bildes dem
Rahmen einfügte, oben bis zur Biegung des den Vorhang
tragenden Stabes umgelegt und eingezwängt werden müssen.
Ueberdies würde es auf einem Hochaltar eine zu hohe Stellung
einnehmen, während der Künstler wahrscheinlich beabsichtigt hat,
daß der in's Weite gerichtete Blick sowohl der Madonna als
auch des Jesuskindes, der Handweisung des Papstes gemäß,
geradeaus auf die vor dem Bilde versammelte Gemeinde fallen
soll. Letzteres konnte geschehen, wenn das Bild als sogenannte
Kirchenfahne, wie es bei gewissen Festen im Gebrauch ist, etwa
zur Seite des Altars aufgestellt wurde.

Die beiden Gestalten des Papstes Sixtus II. und der
heiligen Barbara bezeichnen die engere Beziehung des Bildes
zur Gemeinde, da die Kirche dem heiligen Sixtus geweiht war,
während Barbara etwa als Schutzheilige des Klosters oder der
Stadt verehrt wurde.

Obgleich nun die Bestellung des Bildes durch die Bene-
dictiner zu Piacenza die gelegentliche Veranlassung war, dem
Papste Sixtus und der heiligen Barbara einen Platz neben der
Madonna anzuweisen: so hat Raphael es doch nicht dabei be-
wenden lassen, diese Gestalten (wie es sich wohl sonst auf Dar-
stellungen der Madonna als Gottesmutter und Himmelskönigin
findet) als ein für sich bestehendes Accidens des Bildes oder
etwa in anbetende Verehrung versunken erscheinen zu lassen.
Vielmehr hat er die durch die zufällige Gelegenheit gegebenen
Persönlichkeiten benutzt, um sie ihrem individuellen Charakter ge-
mäß mit der Madonna zu einer gemeinschaftlichen Handlung zu
vereinigen. Auf diese Weise hat das Bild seinen Gedanken-
inhalt gewonnen. Aus diesem Gedanken erzeugen sich Stellung
und Bewegung der einzelnen Gestalten, wie hiewiederum jede
einzelne Erscheinung als angehöriges Element des Ganzen zur
Herbeiführung der Einheit des Gedankens und der Handlung
zusammenwirkt, so daß der Betrachter im Gefühl solcher Einheit
das Einzelne klar erkennt und am Ganzen den Hochgenuß einer
Befriedigung gewinnt.

Jedenfalls war das Bild zur Verherrlichung des Altar-

dienstes bestimmt. Der Altardienst ist in der katholischen Kirche
der Hauptbestandtheil der kirchlichen Gottesverehrung. Den
feierlichsten Akt des Altardienstes bildet die Enthüllung und Er-
hebung der Hostie, an welcher sich in diesem Moment das große
Mysterium der „Wandlung" vollzieht....

Auf dem Bilde sind dargestellt der höchste Priester der
Kirche, der Papst, durch dessen eigene Betheiligung am Meß-
opfer dieses voraussetzlich die allerhöchste Weihe empfängt, und
die heilige Barbara, welche unter den Mätyrinnen und Be-
gnadigten eine der höchsten Ehrenstufen hat. . - .

Die Benedictiner zu Piacenza, welche das Bild für ihre
Klosterkirche malen ließen, waren in aller Welt als eine in
Wissenschaft und Kunst im höchsten Grade gebildete Genossen-
schaft bekannt, so daß sie ein Kunstwerk zu würdigen verstanden . . .

Raphael hatte bereits viele und mancherlei Madonnenbilder
gemalt. Er hatte dem Ideal der jungfräulichen Magd des
Herrn, die demüthig ihr hohes Geschick auf sich nimmt, er hatte
dem Ideal des glückseligen Weibes, das sich über den göttlichen
Sohn freut, die schöne Gestalt gegeben und nicht minder den
Schmerz der Mutter über die Leiden des Sohnes verklärt. So
hatte er in seinen zahlreichen Madonnenbildern fast den ganzen
Kreis des Lebens der Maria ausgefüllt und war dadurch so-
wie durch viele andere Bildwerke unter den berühmten Malern
seiner Zeit einer der größten und bedeutendsten geworden....

Wie sollte er, der von Werk zu Werk nach immer steigen-
der Vervollkommnung strebte, er, den man bereits den „göttlichen
Raphael" nannte, wie sollte er bei der durch die Benedictiner
gebotenen Gelegenheit nicht daran gedacht haben, in dem Ge-
biete der Madonnenmalerei ein Höchstes zu leisten?
Und der Genius der Poesie übte lebendiger als je seinen be-
geisternden, verklärenden Einfluß auf die künstlerisch empor-
strebende, schaffensfreudige Seele des Meisters.

Nun ist die Mutter mit dem Sohn schon an und für sich
der Liebe reinste und schönste Versinnbildlichung in menschlich
erfaßbarer Form. Davon giebt unser Schiller ein hieher be-
zügliches Zeugniß, indem er den Chor in der „Braut von Messina"
sagen läßt:

Selber die Kirche, die göttliche, stellt nicht
Schöneres dar auf dem himmlischen Throne,

Höheres bildet

Selber die Kunst nicht, die göttlich geborne,

Als die Mutter mit ihrem Sohn.

Wie könnte demnach die auf das Heil der Menschheit ge-
richtete Liebe Gottes reiner und herrlicher personificirt werden
als dadurch, daß eine Mutter ihren Sohn zum Heile des
Menschengeschlechts dahin giebt! Maria liebt diesen Sohn als
das aus ihr geborene ewig Göttliche. Nun soll er, der Gött-
lichkeit entkleidet, Mensch werden, menschlich zu leben, zu handeln,
zu leiden. Aber sie liebt auch die Menschen als ihre eignen
Welt- und Blutsverwandten. Sie weiß, daß nach Gottes Rath-
schluß diese Menschen nur durch die Hingabe des Sohnes das
ewige Leben haben. Darum steigt sie aus dem Himmel zur
Erde hernieder und bringt der Welt den eignen Sohn zum
Heiland dar.

So veranschaulicht auf unserm Bilde die Mutter mit dem
Sohne jene Liebe, die nicht nur nicht das Ihre sucht, die viel-
 
Annotationen