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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0153

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Neichthum des Stoffs, der sich bei dem Künstler aus den prak-
tischen Erfahrungen seiner Bernfsthätigkeit angesammelt, anderer-
seits besser als irgend Jemand anders im Stande, den Zu-
sammenhang zwischen dem innerlichen, der Phantasie angehörenden,
und dem äußerlichen technischen Schaffen zu übersehen und folg-
lich auch die Schwierigkeiten zu beurtheilen, welche diesem Zu-
sammenhänge widerstreben, schaut er von vorn herein mit einer
gewissen Verachtung nicht nur auf den unwissenden Laien, sondern
auch auf den Aesthetiker von Fach, ja auf letzteren fast noch
mehr als auf ersteren herab, da er in der Aesthetik selten mehr
als Wortkrämerei und haarspaltende Systematik sieht, welche nie
bis in die eigentliche Tiefe, in das wahre Wesen der Kunst hin-
einzuschanen vermöge. Sicher in dem als selbstverständlich vor-
ausgesetzten Alleinbesitz des großen Geheimnisses der Schönheit
und als Künstler zum Priester ihres mystischen Kultus sich be-
rufen wissend, betrachtet er alle anderweitigen Versuche, „von
außen her" in das Geheimniß einzudringen, als eine Danaiden-
arbeit, die ihrer Vergeblichkeit wegen nur Mitleid oder auch — wo
sie mit der Prätension des Besserwissenwollens auftritt — ent-
schiedene Zurückweisung in die gebührenden Schranken verdiene.

Fragt man nun aber sie, die Wissenden von Schönheits-
Gnaden, nach der Lösung des Geheimnisses, so wissen sie zwar
nichts Wesentliches darüber zu sagen, aber sie berufen sich ent-
weder (ganz wie die Laien) auf ihr Gefühl — und dabei fahren
sie in jedem Betracht am besten, obschon dem Lernbegierigen
damit nicht geholfen ist—, oder sie deuten auch wohl an, daß
die Empfindung für Schönheit überhaupt wie diese selbst etwas
Unerklärliches, weit über das Denken Erhabenes, kurz eine un-
mittelbare Gabe Gottes sei, über welche man ebenso wenig wie
über die Geheimnisse der religiösen Offenbarung zur vollen
Klarheit gelangen könne. Und diese Ansicht von der Sache ist
für sie, die schaffenden Künstler, auch die allein richtige und
maaßgebende. Denn eben in dieser Unmittelbarkeit der künst-
lerischen Intuition, in dieser Selbstgewißheit innerer Offenbarung
liegt das Geheimniß — nicht der Schönheit, nicht der Kunst,
als dieser Verwirklichungssphäre des Schönen, sondern — des
künstlerischen Schaffens, der Thätigkeit des Genius. Sucht der
Künstler diesen Schleier von dem Geheimniß, das er sich selber
ist, mit vermessener Hand zu heben, ißt er von dem Baum der
Erkenntu iß, so erstirbt die geniale Unschuld in ihm und er wird
aus dem Paradiese des echten Kunstschaffens verbannt. Um ohne
Parabel zu sprechen: Versucht der Künstler über die Natur dieses
Schaffens, den Zweck und den Inhalt derselben zu reslektiren,
so schwächt er die Kraft dieses Schaffens in demselben Grade,
in welchem er zum Bewußtsein darüber gelangt.

Wo wir daher in der Geschichte der Aesthetik einen Künst-
ler auftreten sehen, welcher diesen für ihn gefährlichen Versuch
unternimmt, über das Geheimniß des Kunstschaffens und seines
Inhalts, der Schönheit, zu reslektiren, da erkennen wir auch so-
fort, daß er entweder von Hause aus eine mehr reflektirende als
empfindende, eine mehr verständige als intuitive Natur ist, wie
z. B. der auch in seinen Gemälden moralisirende Hogarth
oder der eklektische Mengs, oder aber daß er durch solches
theoretische Thun seiner Empfindungsfrische wenigstens Abbruch
thut. Das Theoretisiren, selbst auf dem ganz praktischen Gebiet
der technischen Disciplinen, ist fast immer mit einem Mangel an

Kraft der Phantasie und an Frische der Empfindung verbunden,
so daß man beinahe mit der Zuverlässigkeit eines mathematischen
Lehrsatzes behaupten kann, daß das Talent zu lehren, zu syste-
matisiren, kurz zu resiektiren bei dem Künstler immer im um-
gekehrten Verhältniß zu seiner Productionskraft und künstlerischen
Originalität steht.

Während daher — wir wollen nur Beispiele aus der älte-
ren Kunstgeschichte") wählen — von Raphael und Michel-
angelo wohl poetische Ergüsse und einzelne, wenig bedeut-
same theoretische Aussprüche bekannt sind, obschon es diesen
Künstlern wahrlich nicht an der nöthigen Bildung dazu gefehlt
hat *) **), haben jene, weniger Doppel- als Halb-Künstlernaturen
wie Hogarth und Mengs ganze Abhandlungen und Werke über
das Schöne u. s. f. geschrieben. Und zwar thaten sie dies mit der
aus dem Bewußtsein ihres Berufs von Schönheitsgnaden stam-
menden stolzen Ueberzeugung, daß sie allein das Wahre nicht nur
erkannt, sondern auch zu erkennen vorzugsweise im Stande seien.

Solche Künstler-Philosophen (nicht zu verwechseln mit
„Kunst-Philosophen") beginnen dann gewöhnlich mit dem Aus-
druck souveräner Verachtung gegen Alles, was jemals, besonders
von Philosophen, über Kunst und Schönheit „ausgeheckt" sei.
Dabei zeigen sie dann aber, sobald sie in den Stoff selbst ein-
treten, nicht nur die außerordentlichste Unwissenheit über Das,
was „ausgeheckt" ist, sondern offenbar auch meist eine wahrhaft
klägliche Oberflächlichkeit in Dem, was sie selber als „höchste
Wahrheit" verkünden. Abgesehen von der bornirten Einseitigkeit
des Standpunkts, den sie gewöhnlich einnehmen — Hogarth's
ganzes Resiektiren z. B. lief aus die armselige Bestimmung
einer vorgeblichen „Schönheitslinie" hinaus — bleiben sie auch
meist an ganz äußerlichen Dingen haften oder verrathen, wo sie
den Versuch machen, tiefer in das Wesen einzudringen, einen
auffallenden Mangel an Kenntniß der einfachsten logischen Gesetze.
Von eigentlichem Denken im Sinne des begrifflichen Producirens
ist nun vollends keine Spur bei ihnen anzutreffen. Gleichwohl
sind sie, indem sie die innere Selbstgewißheit, daß sie den In-
halt besitzen, mit dem reflexiven Bewußtsein darüber ver-
wechseln, des Glaubens, auch die alleinigen Besitzer der Wissen-
schaft davon zu sein, und gerathen bei dem Versuch, sich als
Denker zu zeigen, oft in die Lage, sich bei dem wirllichen Denker
lächerlich zu machen. Wenn sie es nicht allzu übel vermerkten,
möchte man den über Kunst schriftstellernden Künstlern manchmal
das allerdings etwas triviale Wort zurufen: idle sutor ultra
crepidam, dessen Uebersetzung hier etwa lauten würde: „Maler,
bleib' bei deiner Stasfelei".

Vielleicht aber giebt man solche Ansicht über die Beschränkt-
heit des Künstler-Urtheils hinsichtlich allgemeiner ästhetischer Fra-
gen zu, um dafür mit um so größerer Entschiedenheit die ob-
jektive Geltungskraft derselben in Bezug auf bestimmte Werke
der Kunst zu behaupten. Aber auch hiemit hat es eine eigene
Bewandtniß. Zwar, was die ganze technische Seite des Ur-
theilens betrifft — und wir fassen hier das Wort „Technik" im
allerweitesten Sinne, rechnen somit nicht blos das Handwerkliche,

*) Nicht als ob aus der neuesten nicht Beispiele genug zur Disposition
ständen.

**) Auch Leonardo da Vincis Buch über die Malerei behandelt nur die
technische Seite dieser Kunst.
 
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