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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0161

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unmittelbar besitzt, während sie das vernünftige Denken auf dem
Wege der spekulativen Vermittelung erreicht.

Der Laie hat bei seinem Urtheilen das Eigenthümliche,
daß er mehr oder weniger bewußt das Kunstwerk wie ein
Naturobjekt betrachtet. — Hier gehen nun die Standpunkte
des Laien und des Künstlers in einen bestimmten Gegensatz
auseinander. — Der Künstler nämlich steht zwar auch auf dem
Standpunkt der unmittelbaren Intuition — und diese stellt ihn
ebenfalls zu dem rein denkenden Philosophen in ein Verwandt-
schaftsverhältniß —; aber die Intuition des Künstlers liegt nicht
auf der Seite der bloßen Receptivität wie beim Laien, sondern
auf der der Produktivität, hat also, gegen die des Laien ge-
halten, eine wesentlich praktische Tendenz. Der Gegensatz zwischen
der Anschauungs- und Empsindungsweise des Laien und des
Künstlers offenbart sich hauptsächlich darin, daß der Laie — um
es kurz zu sagen — bei der Betrachtung des Kunstwerks zu-
nächst das „Was", d. h. den objektiven Inhalt des Darge-
stellten, in's Auge faßt und, ob und wiefern dieser schön sei,
beurtheilt, während der Künstler vor Allem nach dem „Wie"
fragt, d. h. nach der Weise der Auffassung, in welcher der In-
halt, der ihm als solcher verhältnißmäßig indifferent ist, zur
Darstellung gebracht erscheint. Diese Frage nach dem „Was",
oder, wie man es auch ausdrücken kann, nach der künstlerischen
Idee, als Inhalt der Darstellung, führt demnach den Laien zu
einem Urtheil über das objektiv-Schöne, d. h. über das Natur-
schöne, während die andere nach dem „Wie" den Künstler zu
einem Urtheil über das subjektiv-Schöne oder über das Künst-
lerische führt. Zu diesem Künstlerischen gehört, von solchem Ge-
sichtspunkt aus, nun auch wesentlich das Technische, die mehr
oder minder große Geschicklichkeit des Machwerks u. s. f.

Die erste Forderung daher, welche der Laie an ein Kunst-
werk stellt, ist die, daß es recht „naturwahr" sei; und dies er-
freut ihn daran auch am meisten. Die zweite Forderung ist
dann die, daß diese Naturwahrheit auch „schön" sei. Im Grunde
aber ist dies für ihn ganz dasselbe, denn er kennt eigentlich nur
die Naturschönheit, auch im Kunstwerk; und an Dem, was ihm
in der Natur „häßlich" erscheinen würde, z. B. ein Betteljunge,
kann er auch im Kunstwerk keine ungemischte Freude und keinen
rechten Geschmack finden, wäre es auch von Murillo gemalt.

Wenn nun der Laie das Kunstwerk wie ein Naturobjekt
anschaut, so schaut der Künstler umgekehrt die Natur wie ein
Kunstobjekt an oder, genauer gesprochen, als ein Objekt der
künstlerischen Darstellbarkeit und Wirkungsfähigkeit. Hierin zeigt
sich nun der schroffe Gegensatz der beiden Anschauungsweisen am
Deutlichsten. Die reine Naturschönheit, z. B. eine schöne Land-
schaft oder ein schöner Mensch, hat vom Standpunkt des Laien
einen völlig anderen Inhalt als von dem des Künstlers. Die
sogenannte „schöne Gegend" ist im künstlerischen Sinne eine ganz
untergeordnete Art von landschaftlicher Schönheit, eben weil die
bloße Naturschönheit darin überwiegt, wogegen ein vertrockneter
alter Baum an einer sumpfigen Wasserlache unter regnerischem
Himmel — lauter Objekte, die der Laie weder in der Natur
selbst noch im Kunstwerk „schön" findet — den Künstler gerade
durch ihre „Schönheit" entzücken. Aehnlich kann im Bereich der
Genremalerei der Gegenstand, z. B. eine „Liebesscene" oder
„Spielen der Kinder" u. s. f. den Laien durch die Erinnerung

an ähnlich erlebte Scenen gemüthlicher, weil naturschöner Art
(denn es ist immer die Natur, wenn auch eine innerliche, was
darin sympathisch an das Gefühl anklingt) außerordentlich an-
ziehen, während derselbe Gegenstand den Künstler, welcher die
charakteristische Auffassung des Bildes prüft, gegen welche ihm
das Motiv in Hinsicht des künstlerischen Werthes fast bedeutungs-
los erscheint, kalt lassen, ja geradezu abstoßen kann. Man braucht
nur einmal auf großen Ausstellungen die Bemerkungen zu hören,
welche vor den Werken gemacht werden, um sofort zu wissen,
ob man einen Laien oder einen Künstler vor sich habe. Wäh-
rend sich jener fast ausschließlich mit dem Inhalt der Dar-
stellung beschäftigt, kümmert sich der Künstler meist nur um die
Form, d. h. um die Art der Auffassung. So wird auch in
der Musik der „Laie" durch das melodiöse Element, was (wenn
auch hier in anderem Sinne), dem Naturschönen in der bilden-
den Kunst entspricht, mehr als durch das harmonische angezogen
werden, und im melodiösen Gebiet wieder von den einfacheren,
unmittelbar an das Gemüth sprechenden, einen bestimmteren Ge-
fühlsausdruck enthaltenen Melodien am meisten, während der
„Künstler", d. h. der Musiker von Fach (denn die anderen
Künstler als solche stehen der Musik, wie umgekehrt die Musiker
den bildenden Künsten, ebenfalls nur als Laien gegenüber) mehr
dem Kunstgemäßen, dem kompositionell-harmonischen Charakter,
der mit dem ganzen System des technischen Apparats in innig-
ster Beziehung steht, seine Aufmerksamkeit zuwendet, wogegen
das Melodiöse bei ihm ein geringeres Interesse erweckt.

Wir können hiemit die Betrachtung des Gegensatzes zwischen
dem Laien- und Künstlerurtheil abschließen, obschon natürlich auf
beiden Seiten, je nach dem besonderen Bildungsgrad und Charakter,
eine große Reihe von Sonderstandpunkten existiren; hier aber kam
es uns nur auf das Gemeinsame derselben und das für die
Bestimmung des Gegensatzes Charakteristische an. Indem wir
nunmehr zu einem zweiten Gegensatz übergehen, erinnern wir
an' unsre frühere Bemerkung, daß jeder neue Gegensatz sich aus
einer Spaltung des zweiten Gliedes ergiebt und daß der Ex-
ponent dieses Verhältnisses das besondere Interesse der Entgegen-
gesetzten ist. Der erste Gegensatz war der zwischen Laie und
Kenner; letzterer spaltete sich in den zwischen Künstler und
Kunstfreund. Wir haben also jetzt den Künstler, wie
früher in seinem Gegensatz zum Laien, so jetzt in dem zum
Kunstfreunde zu betrachten. Es ist mithin die Kategorie „Kenner"
selbst, die sich in diesen neuen Gegensatz spaltet. Denn der
Kunstfreund ist wesentlich Kenner oder bildet sich wenigstens ein,
es zu sein, und spricht daher sein Urtheil in solcher Form aus.
Der Laie ist zwar auch, wie überhaupt der Mensch, ein Freund
des Schönen, also auch des Kunstschönen und der Kunst; aber
in dem specisischen Sinne des Wortes ist er noch kein „Kunst-
freund". Bei einem solchen nämlich macht die Neigung, sich
mit Werken der Kunst zu beschäftigen, auch wohl durch materielle
Förderung derselben, einen wesentlichen Inhalt seines inneren
Lebens aus. Ein solcher Kunstfreund kann nebenbei Banquier
oder Stadtgerichtsassessor, auch Generalkonsul, selbst Fürst u. s. w.
sein; aber diese seine Lebensstellung — obschon sie für ihn eine
unbedingte Lebensfrage ist — erscheint nur gleichsam als still-
schweigende und oft mit Stillschweigen übergangene Voraussetzung,
 
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