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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0169

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156

positive Bedeutung. Solche Kenner, deren Kenntniß auf einem
wahren und innigen Verständniß der Kunst und ihres eigent-
lichen Wesens beruht, sind außerordentlich selten. Sie besitzen
ebenfalls in gewissem Grade jene Intuition des nnmittelbaren
Erkennens des Wesens, jenen Instinkt des Geistes, welcher —
wenn auch nach verschiedenen Richtungen — dem unbefangenen
Laien und dem Künstler innewohnen kann, und welcher dem
wahren Kunstphilosophen im höchsten Grade innewohnt. Ein
Kenner dieser Art wird, wie der Dichter, der Maler, der Mu-
siker und der echte Philosoph, geboren. Unterstützt durch ein
vielseitiges, wenn auch meist nur in einer Richtung sich be-
wegendes Studium der Meisterwerke, nicht nur nach dem sich
daran anknüpfenden Apparat von Namen, Daten, Titeln und
technischem Detail, sondern nach der Eigenartigkeit ihres künst-
lerischen Wesens im Verhältniß zur knnstgeschichtlichen Entwicke-
lung überhaupt, wird die angeborene Seherkraft des wahren
Kenners zu einer Schärfe und Klarheit des Blickes ausgebildet,
welche allein ein begründetes Anrecht auf diesen Namen gewährt.
Solche Kenner waren Winckelmann, Lessing und v. Rumohr,
um nur diese zu nennen.

In diesem substanziellen Sinne gefaßt, bilden nun der
„Kunstfreund" und der „Kunstkenner" keinen Gegensatz mehr,
sondern dieser wird eben dadurch, daß der wahre Kunstfreund
nicht ohne Verständniß, der wahre Kenner nicht ohne Liebe zur
Kunst möglich sind, aufgehoben und vernichtet. Der Unterschied,
welcher etwa zwischen den beiden Typen noch bestehen bleibt, be-
ruht, als ein blos formaler, lediglich darin, daß der Kunstfreund
den Hauptaccent auf die Liebe zur Kunst legt, welche durch
das Verständniß geläutert und erhöht wird, während bei dem
Kunstkenner dies Verständniß zum wesentlichsten Zweck, d. h.
zum Studium und Beruf wird, in welchem ihn die Liebe zur
Kunst stärkt und befestigt. — Ferner aber berühren sie sich
in dem einen Punkte, daß sich ihre Liebe wie ihr Verständniß
selten ans das Gesammtgebiet der Kunst, d. h. auf alle Künste
gleichmäßig richten, sondern gewöhnlich nur auf eine bestimmte
Sphäre dieses gesammten Gebietes beschränken. In dieser Be-
schränkung, welche nothwendig mit der Kunstliebhaberei über-
haupt verbunden ist, liegt nun zugleich, da im höheren Sinne
keine Kunst außer ihrem Zusammenhangs mit allen übrigen
wahrhaft begriffen werden kann, ihre Einseitigkeit, welche sie,
indem sie die einzelne Sphäre leicht als die wesentlichste im
Gesammtgebiet zu betrachten geneigt sind, zu dem Jrrthum ver-
leitet, sie besäßen in ihr schon das Ganzes)

Dieser Jrrthum, welcher an sich schon die Forderung ent-
hält, durch einen höheren, allgemeineren Standpunkt aufgehoben
zu werden, erscheint nun zunächst in einem anderen Gegensatz
mit noch ausdrücklicherer Bestimmtheit, nämlich in dem des
Kunstsammlers und Kunsthändlers; ein Gegensatz, welcher,
wie alle übrigen hier erwähnten, auf einem Widerspruch des
Interesses beruht.**)

*) Wie z. B. Winckelmann in Bezug auf die antike Plastik, wodurch
er in den Jrrthum verfiel, die Schönheit überhaupt nur in die menschliche
Gestalt zu setzen und das Ideal lediglich als antikes anzuerkennen.

**) Selbstverständlich ist hier nicht blos das geschäftliche Interesse ge-
meint, obgleich auch dies an dem Widerspruch theilnimmt, sondern das In-
teresse der Anschauung.

Der Kunstsammler*) ist nothwendig Kunstfreund, letzterer in-
dessen nicht nothwendig Sammler. Denn wenn auch der Kunst-
freund seine Behausung mit Kunstwerken schmückt, ja wohl in
bestimmterer Weise eine Gallerie anlegt, so kann er doch immer
noch nicht den Titel eines „Kunstsammlers" im specisischen Sinne
des Worts beanspruchen. Dieser widmet nun seine Neigung,
und zwar in praktischer Weise, einem ganz bestimmten, engbe-
grenzten Kunstzweige: er sammelt so entweder Münzen oder
alte Gemälde, oder Terrakotten, oder venetianische Gläser, oder
Siegel u. s. w., und verschafft sich, theils unwillkürlich durch
die fortwährende Beschäftigung mit seinem Gebiet, theils auch
aus geschäftlichen Gründen, um nicht Unechtes für Echtes zu
erwerben — eine Täuschung, die nicht immer leicht zu vermeiden
ist — durch gründliches Detailstudium eine oft ftaunenswerthe
Sachkenntniß und Gelehrsamkeit. Da macht es denn oft den
merkwürdigsten Eindruck, zu beobachten, wie ein solcher Samm-
ler, der in allen anderen, zuweilen dem seinigen sehr nahe liegen-
den Gebieten, als ein völliger Laie und durchaus kenntniß- und
verständnißlos erscheint, plötzlich, sobald, sein Gebiet berührt wird,
eine solche Fülle und Genauigkeit der Detailkenntniß, bis auf
die gelehrte Technologie herab, entwickelt, daß man ihn für einen
Professor der Kunstgeschichte — in diesem Specialgebiet — zu
halten geneigt sein könnte. Wie schon bemerkt, ist auch hier der
Fall höchst selten, daß ein solcher Sammler sein Interesse zwei
verschiedenen Kunstgebieten gleichmäßig widmet, es müßte denn
ein Gebiet betreffen, welches, wie das der sogenannten Klein-
künste, ein Konglomerat verschiedener, aber doch nahe verwandter
Gattungen bildet. So giebt es wohl selten Sammler, die neben
alten Gemälden ihr Interesse auch Münzen oder Majoliken zu-
wenden, wohl aber solche, die neben Majoliken noch Emaillen,
Gläser, Terrakotten, Elfenbein- und Holzschnitzereien, kleine
Bronzen, Bernsteinsachen, Krüge u. s. f., neben Münzen auch
Gemmen, Siegel u. s. s. sammeln. Dagegen kommt es öfter
vor, daß ein Sammler von Kunstsachen auch Sammlungen an-
legt, die gar nicht dem Gebiete der Kunst angehören, z. B.
neben alten Gemälden auch Muscheln oder Mineralien und der-
gleichen zusammenbringt.

Wenn solches Sammeln nun auch einerseits Respekt ein-
flößt, so enthält es doch andererseits hinsichtlich der dabei vor-
ausgesetzten Kennerschaft die Beschränktheit, daß das damit ver-
bundene partikulare Interesse durch eine noch besser informirte,
weil nur äußerlich interessirte Kennerschaft, nämlich die des Kunst-
händlers, ausgebeutet werden kann. Das dem Sammeln inne-
wohnende leidenschaftliche Moment macht es so zur Beute des
leidenschaftslosen, blos berechnenden Interesses. Dies Verhältniß
ist ein ironisches, denn indem der Kunsthändler den Kunstfreund
und Sammler mit Kunstwerken versorgt, so scheint er zwar zu-
nächst, wie jeder andere Kaufmann, nur den eigenen Vortheil,
das Interesse des Geschäfts, im Auge zu haben. Aber diese
geschäftliche Berechnung enthält hier sowohl in Hinsicht auf die
freie schöpferische Thätigkeit des Künstlers, der die Werke aus
seiner Phantasie gebar, wie in Hinsicht des ideellen Genusses,

*) Die folgende Charakteristik haben wir schon früher einmal gebracht
in dem Artikel über die Geschichte der berliner Gemäldegallerien. Der Voll-
ständigkeit wegen konnte indeß der »Sammler" hier nicht übergangen werden.

D. Red.
 
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