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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0217

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204

Folge dessen ihren Aussprüchen keinen maaßgebenden Werth
zuerkennt. —

Uebrigens würde es mit den Entscheidungen der Jurys
noch nicht so schlimm bestellt sein, wie es in der That ist —
die Aussprüche in den beiden neuesten Konkurrenzen (für das
Reichstagsgebände und das Goethe-Denkmal haben eklatante Be-
weise dafür geliefert) — wenn die einzelnen Mitglieder, welche
ebenso viel einseitige Standpunkte vertreten, auch nur die von
diesen Standpunkten aus zu erreichenden Momente zu benr-
theilen sich bescheiden wollten, statt, wie dies in Wirklichkeit ge-
schieht, über Alles und Jedes, was dabei in Betracht zu ziehen
ist, ein Urtheil sich zutrauen zu wollen. Wir meinen, wenn

eine aus Laien, Künstlern und Kunstgelehrten zusammengesetzte
Jury für ihre Verhandlungen von vornherein das Princip auf-
stellte, daß die Künstler nur über die technische Seite (im weite-
sten Umfang dieses Worts), die Laien nur über den allgemeinen
Eindruck, den das Werk auf ihre unbefangene Empfindung aus-
übt, sich aussprächen, die Kunstgelehrten aber, worunter wir hier
nicht die wissenschaftlichen Aesthetiker, sondern die Kunsthistoriker
verstehen, etwa aus dem reichen Schatz ihres Wissens Mit-
theilungen über die Art und Weise, wie ähnliche Themata an
andern Orten und zu andern Zeiten ausgefaßt seien, machten,
und so jeder sich aus Das beschränkte, was seinem Verständniß
speciell zugänglich ist, so würde das Resultat — schon durch
die gegenseitige sachgemäße Belehrung — immerhin ein an-
näherungsweise befriedigendes sein; vorausgesetzt, daß die Basis,
auf der das ganze Unternehmen der Konkurrenz ruht, nämlich
die Feststellung des Themas selbst, eine gesunde und korrekte ist.

Hiemit berühren wir einen zweiten, sehr bedenklichen Punkt,
der bei der Ausschreibung der Konkurrenzen in Frage kommt:
das Programm. Man kann nach den bisherigen Erfahrungen
wohl behaupten, daß die Abfassung der Programme gewöhnlich
auf eine ziemlich oberflächliche Weise behandelt wird; man scheint
nicht zu erwägen, daß das Programm das Saamenkorn ist, aus
welchem der Baum der Konkurrenz erwachsen soll: was kann
man von den Früchten erwarten, wenn das Saamenkorn nichts
taugt? Zwei Punkte namentlich sind es, auf die man die größte
Aufmerksamkeit verwenden sollte: einmal, daß durch das Thema
selbst die Phantasie des Künstlers in wahrhaft ideeller Weise
angeregt wird, und dann, daß die näheren Bestimmungen keine
unnöthigen Beschränkungen oder gar innere Widersprüche ent-
halten. —

Es würde ein sehr verdienstliches, wenn auch nicht gerade
erfreuliches Unternehmen sein, eine Kritik der in den letzten
Jahren veröffentlichten Programme für künstlerische Konkurrenzen
zu schreiben; jedenfalls aber würde es zweckmäßig sein, wenn
künftighin nicht nur die eingesandtcn Konkurrenzskizzen, sondern
schon vorher die Programme selbst der öffentlichen Kritik unter-
breitet würden, ehe man sie als unbedingte Gesetze für die Theil-
nehmer an den Konkurrenzen aufstellte. Dies würde vielen, sich
später ergebenden und nicht vorausgesehenen Unzuträglichkeiten
Vorbeugen und manche als nothwendig sich herausstellende „engere
Konkurrenz" überflüssig machen. Denn was beweist die Er-
öffnung einer zweiten Konkurrenz, die nicht als eine völlig neue
auftritt, sondern auf eine ausgewählte Zahl von Künstlern der
ersten Konkurrenz beschränkt wird? Worauf beruht die Er-

wartung, daß diese Künstler auf dasselbe Programm hin.
es jetzt besser machen würden?

Es ist nichts als das Eingeständniß, daß das Programm,
nichts werth war, daß es entweder zu allgemein gehalten oder
in einzelnen Bestimmungen zu beschränkt oder gar mit Wider-
sprüchen behaftet war, so daß die Künstler erst aus den Fehlern
der sämmtlichen Konkurrenzpläne lernen mußten, welche-
Fehler oder Lücken in dem Programm enthalten waren. Nichts
ist dem freien und inhaltsvollen Schaffen der Phantasie hinder-
licher als einerseits zu große Allgemeinheit des Themas, andrer-
seits zu enge Beschränkung einzelner Bestimmungen. Im ersten
Fall zerfließt Das, was an ideellem Inhalt etwa darin ange-
deutet ist, in unbestimmten Umrissen auseinander, im zweiten
wird der Phantasie ein Gewicht an die Flügel gehängt, das
sie am leichten Aufschwung, an der freien Entfaltung ihrer
Schöpfuugskraft hindert.

So nüchtern ein Programm für Künstlerkonkurrenzen in
seinen trockenen Paragraphen zu sein scheint, so gehört, unsrer
Ansicht nach, doch viel Verständniß überhaupt, noch mehr aber
Sachkenntnis und die Fähigkeit dazu, sich in die Art und Weise
des künstlerischen Schaffens zu vertiefen. Diesem Satz gegenüber-
beweisen nun die meisten Programms eine beklagenswerthe Ober-
flächlichkeit, und es ist wahrhaft bewundernswürdig, wie die
Künstler sich in solcher Zahl, wie es gewöhnlich geschieht, darauf
einlassen können. Freilich nehmen es auch die meisten Künstler
mit solchen Aufgaben ziemlich leicht und behandeln namentlich
die ideelle Seite derselben mit jener Nonchalance, welche die
meist mit Geistlosigkeit verbundene Routine zu verleihen pflegt.
So ist es denn erklärlich, daß keine anderen Resultate erzielt
werden als diejenigen, welche vor Aller Augen liegen. Die
Schuld liegt auf beiden Seiten, zunächst aber auf Seiten der
Comite's, die — man weiß nicht warum — gewöhnlich hinter-
her auch die Rolle der Kunstrichter übernehmen. Wären diese
ihrer Aufgabe mehr, als sie es gewöhnlich sind, gewachsen und
sich der Wichtigkeit derselben bewußt — hievon aber müßte schon
das Programm Zeugniß ablegen —, dann würden auch die
Künstler dadurch zu einer größeren Vertiefung geführt werden
und die besseren unter ihnen zu einem ernsteren, freudigeren Er-
fassen des in der Aufgabe liegeuden künstlerischen, d. h. poetischen
Gehalts erhoben werden.

Doch wir scheinen von unserem Thema abzukommen; je-
doch nur scheinbar. Denn eben an der Wirksamkeit der Jurys
zeigt sich, wenn auch meist in negativer Weise, unser Satz,
daß alle zwischen den beiden Extremen, der einfachen natur-
gemäßen Empfindung, die wir als naive Intuition bezeichnen
können, und der wahrhaften philosophischen Betrachtungsweise
liegenden Standpunkte des Urtheilens einseitiger und beschränkter
Natur sind, am deutlichsten bestätigt. Die Frage, wie man
Kunstwerke beurtheilen solle, läßt sich nun nicht so einfach be-
antworten wie die andere, wie man sie nicht beurtheilen solle,
wenn man unter einer einfachen Antwort versteht, daß man ein
in wenig Worten gefaßtes Gesetz aufstellen solle, das, gleich einem
Recept oder einer „Anweisung in 24 Stunden französisch zu
lernen", sofort Jeden in den Stand setze, wie er sich in einem
bestimmten Falle sein Urtheil zu bilden habe. Wäre dies so
leicht — und in der That ist es, als das Resultat vieljähriger
 
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