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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0225

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eine Täuschung der Sinne als auf eine prägnante Charakteristik
in der Darstellung der erscheinenden Welt ausgeht, so verfolgt
auch die Architekturmalerei diesen Zweck, namentlich in ihrer
dekorativen Anwendung. Wie beliebt diese Richtung schon im
klassischen Alterthum war, beweisen die Wandgemälde von Her-
kulanum und Pompeji. Dort finden sich nämlich nicht blos
Landschaften mit vorherrschender Darstellung von Bauten der ver-
schiedensten Art, sondern auch phantastische Architekturen, schlanke,
rohrähnliche Säulen, die sich luftig emporbauen und durch leichte
Gebälke verbunden und mannigfaltig geschmückt erscheinen. Sie
bilden in den meisten Fällen eine anmuthige Einrahmung der
Wandflächen und gestalten sich oft zur selbstständigen Dekoration,
deren leichtes perspektivisches Formenspiel den zumeist beengten
Raum des Gemaches auszuweiten bestimmt und wohlgeeignet ist.
Obwohl diese Arbeiten flüchtig genug ausgeführt sind, so bieten
sie nicht blos als Beispiele für die untergeordneten Richtungen
antiker Malerei, sondern namentlich als unzweifelhafte Nach-
bildungen älterer Meisterwerke ein namhaftes Interesse. Aehn-
lichen Zwecken der Täuschung diente die Kunst des Cinquecento,
welche den Außenflächen der Gebäude reichen architektonischen
Schmuck borgte.

Neben der Vedute und der dekorativen Architekturmalerei
in der eben bezeichneten Anwendung finden wir eine andre Art,
welche sich uns als Analogen der Stimmungslandschaft darstellt
und mit denselben Mitteln nach deniselben Ziele strebt, zu dessen
Erreichung sie sich oft mit der Landschaftsmalerei verbindet, wie
umgekehrt die landschaftliche Kunst sich häufig der architektonischen
Elemente bedient, um eine lebhaftere Wirkung zu erreichen. Aber
es ist in der Regel ein umgekehrtes Verhältniß; denn zumeist
nimmt die stylisirte Landschaft die von der Architektur gebotenen
Formen als Staffage herüber, während es vorwiegend die mittelst
der Stimmung wirkende Architekturmalerei ist, welche die land-
schaftliche Natur für ihre Zwecke benützt.

Zu den Künstlern, welche die beiden letzteren Elemente je
nach Bedürfniß in Anspruch nehmen und bald das architektonische,
bald das landschaftliche stärker betonen, je nachdem das eine oder
andere ihnen im gegebenen Falle brauchbarer erscheint, gehört
auch Ferdinand Kn ab, so daß wir ihn ebenso wenig aus-
schließlich zu den Architekturmalern als allein zu den Landschaftern
rechnen dürfen, wenn es auch keiner Schwierigkeit unterliegt, die
einzelnen Arbeiten desselben in die eine oder andere Kategorie
einzureihen. Denn er fühlt recht wohl, daß es entschieden vom
Nebel ist, beiden Elementen in Einem Bilde gleiche Bedeutung
einzuräumen, da in diesem Falle beide nothwendig einander ab-
schwächen würden.

Kn ab ist Lyriker, wie Bernhard Stange. Während aber
dieser vorwiegend, ja man kann fast sagen ausschließlich durch
seine zauberhaften Monscheineffekte wirkt, benützt Knab dieselben
nur ausnahmsweise und verwerthet alle Stimmungen des vollen
Sonnen- wie des zerstreuten Tageslichtes, um durch sie auf den
Beschauer einzuwirken. Obwohl mit den Formen der gothischen
Bauweise wohlvertraut, bringt er sie nur selten zu Darstellung
und wendet sich mit unverkennbarer Vorliebe der Kunst der Re-
naissance zu, und zwar ebenso wohl in ihren der römischen Kunst
noch näher stehenden reineren Gestaltung als in der sich dem
Rokoko zugewendeten Entwickelung.

Drei Dinge sind es, welche Kn ab's Bildern einen so
hohen Werth verleihen, die Innigkeit der Empfindung, der me-
lodische Rhythmus der Linien und ein wunderbarer Zauber dev
Farbe. —

Es giebt Gedichte, die aller Tiefe der Empfindung und
aller Harmonie der Durchbildung ungeachtet in demselben Augen-
blicke verklungen sind, in welchem wir das Buch schließen, und
wieder andere, die gleich den vibrirenden Tönen der Harfe in
unserm Gemüthe nachklingen und, wie sie, verwandte Gedanken
und Empfindungen darin erwecken und mitklingen machen, so
gewissermaaßen ihr eigenes Wesen erneuernd und vervielfälti-
gend. Es liegt ein eigenthümlich geheimnißvoller Reiz in solchen
Schöpfungen der Poesie. Das Wesentliche dieser Art von Poesie
ist, daß der Dichter einen an sich einfachen Gedanken in naiver
Form so zum Ausdruck bringt, daß es dem Leser überlassen
bleibt, diesen Gedanken nicht blos ganz in sich aufzunehmen,
sondern auch in sich selber zum vollendeten Abschluß zu bringen.
Der Dichter läßt den Leser nicht in seinem blos passiven Zu-
stande verharren, er bringt ihn vielmehr zur Aktivität und zwingt
ihn, den Faden da aufzuuehmen, wo ihn jener scheinbar hat
fallen lassen. Er setzt sein poetisches Schaffen in der Seele
des Lesers fort und läßt diesen glauben, er selber sei es, der
den Gedanken des Dichters in freier Thätigkeit fortführe. Sollt'
ich das eigenartige Wesen dieser Poesie mit Einem Worte be-
zeichnen, so möcht' ich sagen: es beruhe darin, an der rechten
Stelle zu schweigen.

Es ist eine schwere Kunst, aber Kn ab versteht sie und
darum klingen seine Dichtungen so lange in unserm Gemüthe
nach. Sei es, daß er uns in einen stillen Winkel des Kloster-
gartens hinter der Kirche führt, deren mächtige Strebepfeiler
wilder Wein überwuchert, sei es, daß er uns ans öder Haide
das ernste Hünengrab zeigt, über das der Mond rothglühend
emporsteigt, sei es, daß er uns in den verwilderten Schloßpark
versetzt, dessen Kaskaden versiegt, dessen Marmorstatuen von
Sturm und Wetter halb zerstört sind. Und so begegnet es uns
wohl, daß wenn wir von seinen Bildern zurückgetreten sind,
vor unserem inneren Auge der Pater Kellermeister mit ein paar
spinuwebbedeckten Flaschen in der Hand herzukommt und sie auf
den runden Marmortisch im Schatten des blühenden Hollunders
aufpflanzt, während ein paar andre wohlgenährte Mönche in
ihren Sandalen herbeischlürfen und schmunzelnd den Vorbe-
reitungen zusehen. Und über die Haide ziehen mächtige Ge-
stalten heran, die Eisenplatten ihrer Panzer und die Griffe
ihrer wuchtigen Schwerter blinken im Mondlicht; ihre Schlacht-
rosse wiehern und der Boden dröhnt unter deren Hufen, wie
sie am einsamen Grabe vorüberreiten, das ihren tapfersten Ge-
nossen umschließt. Im stillen Schloßpark wird es lebendig, die
Bäume und Sträucher rauschen im Abendwinde. Der Bach
stürzt sich über die blanken Marmorstufen, aus dem Bassin er-
hebt sich das flüssige Silber der Fontaine, üppige Göttinnen
und Nymphen schauen in unverletzter Schönheit von ihren Sockeln
auf die sauber gehaltenen Kieswege und den kurz geschorenen
Rasen; zierlich angelegte Bosquets athmen wollüstige Düfte
aus und stolze Pfauen schreiten kokettirend hierhin und dorthin.
Aus dem Pavillon klingt eine frische Mädchenstimme, von den
dünnen Tönen eines Spinets begleitet. Jetzt ist das Lied zu
 
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