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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0241

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Morgen-Imbisse geladen hatte. Auf dem Festplatze hatten wegen
des beschränkten Raumes nur etwa 50 Personen Zutritt gefun-
den, nämlich außer den Majestäten, dem Kronprinzen, den Fürsten
Boguslaw Radziwill und Wied die eingeladenen Personen, deren
Namen wir bereits mittheilten.

Die Enthüllungsfeier wurde durch die Kapelle des 4. Garde-
Regiments eingeleitet, welche den Kaiser mit dem Marsche „Seht,
der Sieger naht" aus Händel's „Judas Maccabäus" begrüßte.
Dann folgte nach einer Hymne des Nassauer Sängerchors die
Ansprache des Vorsitzenden des Central-Comitö's, Reichstags-
Präsidenten Simson, welcher einen geschichtlichen Rückblick auf
die Entstehung und Vollendung des Denkmals warf.

„In wenigen Tagen," so begann der Redner, „werden
einundvierzig Jahre darüber vergangen sein, daß die sterbliche
Hülle des Freiherrn von Stein, von Kappenberg her, in Nassau
eintraf, um von da in die Gruft seiner Ahnen geführt zu wer-
den. Sechsundzwanzig Jahre später, als der Tag seiner Ge-
burt zum hundertsten Male wiederkam, trat hier ein Verein zur
Errichtung eines Nationaldenkmals für Stein zusammen. Die
Bürger der Stadt, in deren Mauern er geboren war — des
Landes, in welchem ruht, was von ihm vergänglich gewesen —,
in deren Herzen die Mahnung, die alte Schuld endlich abzu-
tragen, am lautesten ertönen mochte, sind dem deutschen Volke
in solchem Unternehmen vorangegangen. Bald schlossen sich ihnen
Männer aus verschiedenen Theilen des Vaterlandes an; ein Aus-
schuß bildete sich aus ihrer Mitte; an seiner Spitze haben nach-
einander bis zu ihrem Tode Ludwig Häußer, Pagenstecher, Ger-
vinus gestanden. — Während dann dem Andenken Stein's an
anderen Stätten seiner Wirksamkeit gleiche Huldigung dargebracht
oder vorbereitet wurde — darunter das Standbild, in welchem
er in hoffentlich nicht mehr ferner Frist in der Hauptstadt des
Reiches an der Seite seines Königs inmitten der anderen Helden
der Befreiungskriege erscheinen wird — ging unser Werk unter
dem beifälligen Zurufe und der Beisteuer deutscher Fürsten und
des deutschen Volkes seiner Vollenduug entgegen. Der Bild-
hauer Johannes Pfuhl ward für die Arbeit ausersehen.
Der junge Künstler hat seinen Namen früh an den Namen
Stein's heften dürfen; er ist sich dieses Glücks in seinem ganzen
Umfange bewußt worden. Fast gleichzeitig wurde der Grund-
stein des Denkmals gelegt und nach Entwürfen von Ed. Zais
die Ausführung des Baldachins begonnen, unter dem die Statue
ihre Stelle finden sollte. Die gegenwärtige Besitzerin der Herr-
schaft Nassau, Stein's Enkeltochter, trat den Grund und Boden,
auf dem das Denkmal aufstieg, dem Vereine zum vollen Eigen-
thum ab und belastete ihre Herrschaft für alle Zeiten mit der
Pflicht, die Wege zu erhalten, die zu dem Denkmal führen.
Der Ausschuß des ständischen Verbandes im Regierungsbezirk
Wiesbaden endlich ließ sich — in der Voraussetzung, späterer
Genehmigung des von ihm vertretenen Körpers, bereit finden,
das Denkmal sammt den dazu gehörigen Gerechtsamen für den
Verband zu übernehmen. Wir überweisen es ihm in dieser
Stunde. Es steht fortan unter seiner Obhut. Er wird es im
Namen des deutschen Volks bewahren, verwalten und zu freier
Besichtigung offen halten für Jedermann."

„In derselben Frist, in welcher die Schöpfungen der Kunst
hier zum Ziele gediehen, ist auch das Werk seiner Vollendung

näher gerückt, das Stein in den Jahren 1807 und 1808 be-
gonnen, sind auch die Hoffnungen der Erfüllung entgegengereift,
die in den Jahren 1813 und 1814 seine Feuerseele geschwellt
haben. Auf dem freien einigen Boden des Vaterlandes haben
sich Kaiser und Reich zu neuem Leben erhoben. In so glück-
licher Gegenwart tritt er, der unter denen weit aus voranstand,
die einst der Grund dieser Gegenwart, wieder vor uns hink
Er, der in Harren und Krieg, in Sturz und Sieg nicht müde
ward, die Saat in die tiefe Furche des deutschen Gemüths aus-
zustreuen, die nun unter dem Segen des Allmächtigen so wun-
derbar aufgegangen ist; er, der nicht abließ, seine sinnschweren
Worte zu werfen in die Winde, daß einst der Sohn, der Enkel
einst sie finde! Und er ist kein Traumbild, wie wir ihn er-
blicken; er war, er ist! Die Gottheit hatte ihn vollendet einst
gedacht und dargestellt. So ist er theilhaft des Unendlichen,
des Ewigen und ist auch ewig Unser! Im Angesicht unseres
erhabenen Kaiser- und König-Paares, unter der Weihe Seiner
Gegenwart und der des Kronprinzen des deutschen Reiches und
von Preußen, vor diesen hohen und edlen Zeugen allen lassen
wir die Hülle sinken von Stein's Marmorbilde."

Die Hülle sank auf das gegebene Zeichen und das schöne
Werk zeigte sich den Blicken der überraschten Versammlung,
welche allseitiges freudiges Erstaunen verriethen. Hierauf stimmte
die Schuljugend die ersten drei Verse des Liedes: „Gegrüßest
seist du Land der Treue" an, nach deren Beendigung Heinrich
von Sybel die Tribüne bestieg, um die eigentliche Festrede zu
halten, welche eine lebendige und von nationaler Begeisterung
getragene Charakteristik der patriotischen Wirksamkeit Stein's
enthielt. „Das Leben Stein's" — äußerte sich der Redner in
der Einleitung — „sei dem deutschen Volke unvergeßlich und es
genüge heute nur an die wichtigsten und bedeutendsten Momente
zu erinnern."*)

„Stein wuchs in der Ruhe des Landlebens heran, ein
fürstengleicher Grundherr, aber immer von der Ueberzeugung
durchdrungen, daß eine solche Stellung ihn nicht zur Vereinzelung,
sondern zu doppelt warmer Hingabe an das Vaterland verpflichte.
Inmitten des 18. Jahrhunderts erkannte er den wirklichen deutschen
Zukunftsstaat und wurde Beamter des großen Preußenkönigs. Er
zeigte sich sein Leben hindurch kräftig und wuchtig, streng gegen
sich und streng gegen Andere, eine Natur von schwerem und
großem Styl, herrisch, schöpferisch, überwältigend, ein Geist,
immer auf das Große, Echte, Ganze gerichtet, erfüllt von tiefer
Gottesfurcht und deshalb frei von jeder Furcht der Menschen.
Seit 1805 Minister, entwickelte er auf der Stelle eine allseitig
fruchtbare Thätigkeit und wurde von Friedrich Wilhelm III. an-
erkannt und geschätzt. Nach den furchtbaren Niederlagen von 1806,
bei den verzweifelten Erwägungen über die Herstellung des Staates,
kam es zu einem völligen Bruche zwischen dem Könige und dem
Minister. Stein ging nach Nassau zurück, äußerlich von dem
Staate seiner Wahl getrennt, aber in seinem Herzen fest an
Preußen haftend. Während die Franzosen die letzten Schollen
preußischer Erde zu überstuthen drohten, arbeitete hier der un-
erschütterliche Mann die Grundgedanken für die Erneuerung und

*) Die folgende Rede entnehmen wir der Mittheilung des „Rheinischen
Couriers", welcher den Wortlaut derselben enthält. D. R.
 
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