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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0257

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sicheren Ruhe, die entweder den vollendeten Meister oder den
eitlen Stümper charakterisirt; und manche sehen mit Bestürzung,
wie verschieden der Eindruck, welchen ihr Werk hier zwischen
den übrigen farbenprunkenen Bildflächen macht, von dem ist, den
es in dem stillen Atelier unter günstiger Beleuchtung und un-
beirrt durch gefährliche Nachbarschaft hervorbrachte.

Alle diese und andere Erwägungen haben für eine ein-
sichtsvolle Kritik ihre nicht zu unterschätzende Bedeutung, und
es dürste daher nicht ungeeignet erscheinen, wenn wir einige
Worte znr Verständigung über unsren Standpunkt vorausschicken.

Es herrscht jetzt überall im Bereich des Kunstschaffens —
mit geringen Ausnahmen — eine Tendenz auf materiellen Effekt
und technische Kunstfertigkeit, die zu ernster Besorgniß für die
Zukunft Anlaß geben könnte, wenn man nicht durch die Ge-
schichte belehrt würde, daß solche Tendenzen nur die Merkmale
einer Uebergangsepoche sind. Meist folgen dieselben einer großen
Aufschwungsperiode nach, wie in der antiken Zeit und im sechs-
zehnten Jahrhundert, oft aber gehen sie einer solchen Periode
der Erhebung auch voran. Es scheint, als ob die Künstler,

gleichsam in der Vorahnung einer großen, geistig bedeutsamen
Zeit, iustinktartig den Beruf fühlen, sich vor allen Dingen der
Mittel der Darstellung in mannigfaltigster Weise zu bemächtigen,
um — wenn der Augenblick zur ideellen Vertiefung gekommen —
gerüstet zu sein zum Kainpfe mit dem spröden Gedanken, der
sich offenbaren soll. Aber das lebende Geschlecht vermag es
dann meist nicht mehr, diesen Kampf siegreich zu Ende zu
führen. Seine Aufgabe ist, einer neuen Jugend die Erlebnisse
seines Fleißes, die Resultate seiner mühevollen Arbeit als reife
Früchte zu hinterlaffeu, welche die Samenkörner einer höheren
Entwickelung enthalten. —- Wenn wir daher unsererseits, in
unserer kritischen Stellung zum gegenwärtigen Kunstschaffen, be-
reits jenen ideellen Standpunkt als den Maaßstab für unser
Urtheil hinstellen, so thun wir dies in der festen Ueberzeugung,
daß es die Aufgabe der wahren Kritik sei, nicht für die Gegen-
wart allein, sondern für die Zukunft zu arbeiten, nicht nur für
den fertigen Künstler der Jetztzeit, sondern auch für die Jugend
derselben — denn in ihr liegt der Same jener zu hoffenden
ideellen Erhebung. Möge die Jugend diese ihre Aufgabe richtig
verstehen und dahin streben, ihrer würdig zu werden!

Daß solchen Ansichten gegenüber die Kritik eine schwere
Stellung haben muß, ist leicht einzusehen; und zwar nicht nur
in Bezug auf die Kunstwerke, sondern namentlich auch gegenüber
den Künstlern selbst. Ohnehin läßt das tiefeingewurzelte Miß-
trauen, welches gewissermaaßen traditionell den Künstlern gegen die
Kritik, als ihre „natürliche Feindin", innewohnt, eine aufrichtige
Verständigung zwischen ihnen und darum einen ersprießlichen und
nachhaltigen Einfluß der letzteren auf die ersteren nur in sehr
beschränktem Maaße zu.

Diese Antipathie gegen die Kritik beruht zum größten Theil
darauf, daß die Künstler die Schwierigkeiten, mit denen eine
ihre Aufgabe ernsthaft auffassende Berichterstattung zu kämpfen
hat, nicht berücksichtigen. Freilich, handelte es sich dabei um
ein mehr oder weniger geistvolles Geschwätz, welches blos auf
eine angenehm prickelnde Lektüre des Augenblicks abzielt und
dabei mit weiser Vorsicht alle etwaigen Bedenken spielend zu
umgehen sich befleißigt, so wäre die Sache sehr leicht; anders

aber verhält es sich mit derjenigen Kritik, welche als ihren
obersten Grundsatz die Wahrheit anerkennt, Wahrheit gegen
die Kunst vor Allem, dann Wahrheit gegen die Künstler und
Wahrheit gegen das Publikum. Hier tritt hemmend der ewige
Widerspruch zwischen Theorie und Praxis auf.

„Die Kritik" — so wird gefordert — „hat es nicht mit
den Personen der Künstler, sondern lediglich mit ihren Werken
zu thun." — Das klingt außerordentlich plausibel und dennoch
würde eine Kritik, die au diesem Grundsatz mit absoluter Strenge
festhalten wollte, gerade zur allergrößten Ungerechtigkeit gegen den
Künstler und folglich auch gegen sein Werk führen. Denn, ge-
hört es -— fragen wir dagegen ■— oder gehört es nicht zur
Beurtheiluug eines Werkes, die besonderen, sei es fördernden
sei es hindernden, Umstände in Rechnung zu bringen, welche bei
der Ausführung desselben obwalteten, die Beschränkungen z. B.,
welche dem Künstler durch den Besteller auferlegt wurden, die
Vor- oder Nachtheile der persönlichen Stellung, ja selbst — wo
mau es nur immer in Erfahrung bringen könnte! ■— die Gefühls-
stimmuug des Künstlers selbst, welche zum großen Theil durch
mancherlei seiner Aufgabe ganz fremde Einflüsse bedingt wird?
Fließt von allem Diesen nicht ein großer Theil in das Werk
selbst über, trägt es demnach nicht die Spuren dieser persönlichen
Umstände, und ist es als Werk ohne diese richtig zu würdigen?
Wir sagen zu würdigen, nicht „zu verstehen". Verstehen
kann man das Werk wohl, aber es würdigen, d. h. seinem re-
lativen Werth nach, als Werk dieses Künstlers, schätzen: das
vermag mau eigentlich nur durch eine genaue Kenntuiß der Ge-
schichte seines Entstehens. Diese kunstgeschichtliche, genetische
Kritik eines Werkes, auf welche bei der Würdigung der alten
Meisterwerke mit Recht ein so großer Werth gelegt wird —•
sollte sie bei Schöpfungen der modernen Kunst unnöthig sein?
Wollen wir warten mit der richtigen, persönlichen Würdigung
des Werkes, bis den Künstler erst die kühle Erde deckt? —
Zwar ist es schwierig, ja in manchen Fällen geradezu unmöglich,
jedes Werk seiner Genesis nach — wie wir der Kürze halber
die durch alle äußeren und persönlichen Umstände bedingte Ent-
stehung eines Werkes nennen wollen •— zn beurtheilen, weil
in den seltensten Fällen dem Kritiker eine so genaue Keuntniß
zu Gebote steht und sich die Künstler oft aus falschem Stolz
einer solchen Verständigung nur zu leicht verschließen: wo er sie
aber besitzt, ist er unsrer Ansicht nach verpflichtet, ihr Rechnung
zu tragen.

Aber auch noch von einem andern Gesichtspunkte
hat es die Kritik bei der Beurtheiluug eines Werkes mit dem
Künstler selbst als Person zu thun. Handelte es sich nur um
das Werk selbst und seinen relativen Kunstwerth, so wäre ja
der Name des Künstlers ganz überflüssig, ja es dürfte sogar,
wie bei Konkurrenzen, von Vortheil für die Parteilosigkeit des
Urtheils sein, denselben zu verschweigen. Oder glaubt man, daß
der Name überhaupt nur hinzugefügt werde, um dem Publikum
aus äußerlichen Gründen von dem Verfasser des betreffenden
Werkes Kenntuiß zu geben? Nein, die Kenntniß der Person
ist uothwendig, weil die gerechte Würdigung eines Werkes wesent-
lich abhängig ist nicht nur von der Richtung des Künstlers im
Allgemeinen, sondern auch von dem künstlerischen Stand-
punkt, zu dem er sich durch Schule, Studium und Talent
 
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