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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 17.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.13553#0281

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268

„Prometheus" als historische Figur angenommen, was besäße
das Trösten der Meergötter für eine historische Pointe? —
Wir haben oft genug über die Bedeutung des „Historischen"
und des „historischen Styls in der Kunst" unsere Meinung aus-
gesprochen, um an dieser Stelle nicht in begriffliche Erläuterun-
gen eingehen zu dürfen. Derlei Motive also, behaupten wir,
eignen sich überhaupt nicht für Staffeleimalerei,
sondern für die Plastik oder höchstens für Wandmalerei, am
besten für Cartonzeichnung; denn

Erstens ist die Farbe, das Kolorit, ein so reales Dar-
stellungsmittel — das realste, konkreteste, was es giebt —,
daß abstrakte, also symbolische, mythologische und sonstige in
dies Gebiet schlagende Motive in Farben nicht darstellbar
sind, ohne mit sich selbst, d. h. mit der Idee, in Widerspruch
zu gerathen. Was gemalt werden soll, muß für uns eine
poetische Realität sein: „Christus" ist eine poetische Realiät,
„Madonna" ist eine solche, „Rothkäpchen" und „Dornröschen",
der „Rattenfänger von Hameln" u. s. s. sind solche poetische
Realitäten, aber nicht die mythologischen Gestalten des helleni-
schen Götterkultus: diese wurzeln nicht in unserm Volksglauben,
sie haben keine malerische, d. h. konkrete, sondern nur eine
plastische, d. h. abstrakte Wahrheit.

Zweitens ist die ganze hellenische, überhaupt antike
Welt — und zwar nicht nur im Kunstgebiet, sondern auch im Ge-
biet des wirklichen Lebens — wesentlich plastischer Natur, im
Gegensatz zu der christlich-germanischen, die malerischer
Natur ist. Dies erstreckt sich sogar auf die andern Künste, so
daß sich z. B., wie wir bei anderer Gelegenheit bemerkten, der
griechische Tempel gegen die gothische Kathedrale wie plastisch e
Architektur zu malerischer Architektur verhält. „Apollo"
und „Christus", „Venus" und „Madonna" sind so, als bloße
Schönheitsideale gegen einander gehalten: dort plastisch e, hier
malerische Verkörperungen der Schönheit. Ein wirklich künst-
lerisch fühlender Geist kann sich „Apollo" und „Venus" nur als
Statuen, „Christus", und „Madonna" nur als Gemälde
denken, wenn die in ihnen liegenden Ideale zum höchsten
Ausdruck kommen sollen. Die zahlreichen statuarischen Bild-
werke, welche „Christus am Kreuz" und die „Madonna" dar-
stellen, haben eine mehr religiös-praktische als künstlerische Be-
deutung.

Diese Ansichten mag man vornehm als Paradoxen beachsel-
zucken: was sich als begriffliche Wahrheit herausstellt, kommt
doch einmal zum Siege, weil darin das Natur- und Vernunft-
gemäße liegt. Unsere Ueberzeugung, daß die Kunst dahin strebt,
sich von allen konventionellen und traditionellen Vorurtheilen zu
reinigen und sich zum klaren Bewußtsein ihrer Ziele durchzu-
arbeiten, ist unerschütterlich. Will man sich daher, wie das ja
in Ermangelung innerer Gründe so bequem ist, auf die alten
Meister berufen, die ja die „Venus" so oft gemalt habeu, so
erwiedern wir: Die alten Meister haben schöne nackte Frauen-

aestalten gemalt und sie Venus genannt, nichts weiter. Wenn
darin allein der Beweis liegt, so ist er ein sehr schwacher. Bei
Titian's berühmter „Venus" sitzt bekanntlich ein venetianischer
Edelknabe mit Puffärmeln und Barett und spielt ihr etwas auf
der Mandoline vor: und doch behauptet man, es sei eine „Venus".
Dieser Anachronismen wegen sind die großen Meisten nicht groß,
sondern trotz dieser Anachronismen und, gerade herausgesagt,
Geschmacklosigkeiten. Oder will man aus dem Grunde, weil
Paul Veronese „Die Hochzeit zu Cana" als das Gastmahl
einer Anzahl von vornehmen venetianischen Nobili mit deren
Damen darstellt, den Schluß ziehen, daß auch jetzt noch die
Hochzeit zu Cana in diesem Kostüm, oder gar konsequenter Weise
in dem heutigen — etwa Christus im Frack und Maria in der
Krinoline! —• dargestellt werden müßten? Man sieht, zu welchen
lächerlichen Konsequenzen diese Traditionsreiterei führt. Doch
genug.

Was wir beweisen wollten und nun noch einmal zusammen-
fassen, ist dies: Motive, wie das oben angegebene, gehören weder
zur Historienmalerei noch sind sie überhaupt malerisch.") Wären
sie aber auch beides, so würden sie doch durchaus ungeeignet
für eine Schülerkonkurrenz sein. Wer von diesen jungen
Leuten besitzt wohl eine hinlängliche Kenntniß von dem Geist
des Alterthums, um, daraus schöpfend, die antiken Ideen in
wirklich charakteristischer Weise zu gestalten? Das wäre kaum
einem fertigen Künstler möglich; wir sagen kaum — denn auch
unfern meisten „fertigen Künstlern" geht jene genaue, nur aus
langjährigem gründlichem Studium, wie es z. B. Carstens
und Genelli besaßen, zu schöpfende Kenntniß des antiken Lebens
ab, um solche Motive in wirklich antikem Geist zu behandeln.

Warum dann aber durchaus und immer wieder antike
Motive?

Es muß doch irgend einen Grund haben, daß die Akade-
mie immer und immer wieder solche Themata wählt; es wäre
doch allzu wunderlich, wenn man annehmen wollte, die Akademie
folge darin einem einmal durch das Herkommen geheiligten Usus,
oder zu deutsch: es sei eben der gedankenlose alte Schlendrian
der akademischen Schablone daran schuld. — In der That
existirt solch' ein Grund, und in ihm berühren wir den Kern
der Frage. Die Akademie hat Gelegenheit gehabt, sich darüber
zu äußern, als die famose Differenz zwischen ihr und dem Herrn
v. Mühler wegen des Schlösser'schen Bildes „der Triumph der
Venus" ausgebrocheu war. Sehen wir uns diesen Grund etwas
genauer an. (Schluß folgt.)

*) Wir statuiren übrigens nur eine einzige Ausnahme von dieser
Regel, daß Motive, der klassischen Mythologie entnommen, unmalerisch sind,
nämlich wenn sic als Wandgemälde, Thcatervorhänge u. dergl. für die De-
koration eines bestimmten Raumes behandelt werden, und auch hier nur
dann, wenn sie sehr diskret in der Farbe, etwa in einem milden Halbfarbenton
gehalten sind. Sie stellen sich dann in die Kategorie des Ornaments und
haben als solches eine bedingte Berechtigung. D. R.
 
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