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Dittmann, Lorenz <Prof. Dr.>
Farbgestaltung und Farbtheorie in der abendländischen Malerei: eine Einführung — Darmstadt, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.29814#0061
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MALEREI UND THEORIE IM QUATTROCENTO

Bei Giotto erschienen die Eigenschatten zunächst nur als Modellie-
rungsmittel und somit isoliert, streng auf die jeweilige Körperform be-
schränkt. Gleichwohl enthält die Abwandlung des Buntwerts der Ge-
genstandsfarben, die die Einführung des Eigenschattens zwangsläufig
mit sich bringt - wenn auch in der Regel durch Farbtmbung -, den Keim
einer koloristischen Entwicklung innerhalb der italienischen Malerei,
die, wie erwähnt, schon im Spätwerk Giottos (>Himmelfahrt Johannes’<,
S. Croce, Florenz) ansetzt, aber erst bei Masaccio ( 1401-1428) 1 voll
aufgeht. Sobald nämlich die Schattenfarben alsTonwerte sich aufeinan-
der beziehen, bilden sie Zonen von Halbhelligkeiten oder Halbschatten,
die beim Simultananblick zu flächigen Gründen zusammenwachsen,
somit die geschlossene Folie eines Reliefraumes optisch unterstützen
und im Falle eines Fehlens der abstrakt-homogenen Folie die Funktion
der Gründe selbst übernehmen. Die Lichtwirkung wird dann ver-
gleichbar dem „mittleren Helligkeitsgrund“ eines Flachreliefs, in dem
nur die „Ränder“ der Höhungen, ihre Profile, ins Licht riicken. Die (ab-
strakte) Folie wird dann als Abschluß „überflüssig“, sie kann sich z. B. in
eine Fernlandschaft „aufklären“, ohne daß dadurch der „geschlossene“
Charakter des Bildraumes verlorenginge; die festen Griinde erscheinen
jetzt in die mittleren Helligkeiten eingegangen und „nach vorne geblen-
det“. Sie sind für die Raumbildung von da an verantwortlich.

Diese Ausweitung der homogenen „Modellierungsschatten“ zu einer
ganze Formkomplexe übergreifenden mittleren Helligkeit, die sich als
ein neuer Grund von der Bildfolie abspaltet und den Reliefschichten
anpaßt, wobei alle „Beleuchtung“ an den Formen als höhere Helligkeits-
stufe dieses Grundes erscheint, stellt eine zweite Phase in der Entwick-
lung der italienischen Farbgestaltung dar.

Masaccios Fresken der Brancacci-Kapelle in S. Maria del Carmine,
Florenz 2 (1427/28?) waren wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes
nur bedingt aussagefähig. Die konstitutiven farbgeschichtlichen Beson-
derheiten lassen sich gleichwohl erkennen: Der sichtbar geschlossene
Wandgrund, noch bestimmend bei Giotto und seiner Nachfolge, entfällt

1 Dazu Strauss, Koloritgeschichtliche Untersuchungen, 77-79 (Überlegun-
gen zur Farbe bei Giotto), 85-86 (Masaccio: Madonna des Pisaner Altars).

2 FA: Philip Hendy, Masaccio. Fresken in Florenz. München 1956.
 
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