Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dittmann, Lorenz <Prof. Dr.>
Farbgestaltung und Farbtheorie in der abendländischen Malerei: eine Einführung — Darmstadt, 1987

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29814#0203
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUR NIEDERLANDISCHEN MALEREI
DES 16. JAHRHUNDERTS

Die Farbgestaltung der niederländischen Malerei ist zu Beginn des
16. Jahrhunderts zweigeteilt. Eine Strömung entwickelt die Helldunkel-
malerei des vorangegangenen Jahrhunderts fort, die andere, vielfälti-
gere, bestimmt sich aus immer erneuten Begegnungen mit der italieni-
schen Malerei.

Joachim Patinier (um 1480-1524) gehört der ersten Richtung an. Seine
>Ruhe aufder Flucht nach Ägypten< (um 1520, Gemäldegalerie Berlin) 1
lebt aus zarten Helldunkelspannungen. Gleichwohl hat sich das Schwer-
gewicht etwas nach der koloristischen Seite hin verschoben. Im Himmel
erscheint nun fast reines, festes Weiß, kontrastiert zum tiefen Flaschen-
blaugrün, der Einheitsfarbe des Mittelgrundes, an die sich nach vorne
hin dunkles, schwärzliches Oliv anschließt. Das Licht sammelt sich im
klaren Weiß des Marienkopftuchs, dem gedämpfteren von Sack und
Windel und im heilen Weinrot des Marienmantels. Ist in der altnieder-
ländischen Malerei das über „weißem“ Horizont sich vertiefende Him-
melsblau zugleich Ansatz einer die Bildsphäre überwölbenden Dunkel-
heit, so ordnet sich nun der Bildraum neu nach Flächenschichten,
sichtbar auch in der klaren Farbtrennung der Raumzonen.

Auch Quentin Massys (1466-1530) steht in derTradition der altnieder-
ländischen Malerei, fiihrt aber die Farbgestaltung einer neuen Verfeine-
rung zu. So sind etwa bei der >Heiligen Sippe< des Annenaltars (1507/09,
Briissel, Musées Royaux des Beaux-Arts) ,,die Grundfarben nicht nur
in einer Ausprägung gegeben, sondern in mehrere gebrochene Abtö-
nungen auseinandergelegt, die eben dadurch, wie sie als Abwandlungen
eines Grundtones erscheinen, in ihrer Besonderheit als Brechungstöne
gesteigert empfunden werden. Reine Farbtöne wirken neben ihnen
um so empfindlicher.“ Zu diesen Farben, ,,die, wenn sie auch ver-
ändert wirken, doch die Grundfarben des 15. Jahrhunderts noch nach-
klingen lassen, treten andere, bisher unbekannte, wie Orange, warmes
Laubgrün, stumpfes schwärzliches Violett und ähnliche Töne, deren
Kreis noch erweitert wird durch die vielfach auftretenden Changeant-
farben, wie Hellgriin-Weinrot oder Lachsrosa-Hellblau ...“ Heinz
Roosen-Runge hat die Eigenart und Wandlungen der Farbgestaltung bei

1 Gemäldegalerie Berlin, 167.
 
Annotationen