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Dittmann, Lorenz <Prof. Dr.>
Farbgestaltung und Farbtheorie in der abendländischen Malerei: eine Einführung — Darmstadt, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.29814#0310
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296

Malerei des 19. Jahrhunderts

scher Malerei. 90 Ihm ist es, wie Théodore Duret in seiner 1878 veröffent-
lichten Broschiire >Les peintres impressionnistes< schrieb, zum ersten
Mal gelungen, „flüchtige Impressionen festzuhalten“, Impressionen, die
„seine Vorläufer vernachlässigten, oder von denen sie angenommen
hatten, es sei unmöglich, sie mit dem Pinsel wiederzugeben. Die tausend
Nuancen, die das Wasser des Meeres und der Flüsse annimmt, das Spiel
des Lichtes in den Wolken, das vibrierende Kolorit der Blumen und die
durchsichtigen Reflexe des Laubes unter den Strahlen einer brennenden
Sonne wurden von ihm in ihrer ganzen Wahrheit erfaßt. Indem er die
Landschaft nicht nur in ihrem unveränderlichen und dauernden Zu-
stand, sondern auch unter den flüchtigen Aspekten, die ihr die Zufälle
der Atmosphäre verleihen, malt, vermittelt Monet von der erblickten
Szene eine erstaunlich lebendige und packende Vorstellung. Seine
Bilder vermitteln sehr reale Impressionen. Man kann sagen, daß seine
Schneemotive einem kalt machen und seine Sonnenbilder einen wär-
men.“ 91

Der zeitgenössische Kritiker verstand also die Bilder Monets als Dar-
stellung eines Natur-Ausschnittes und unter dem Aspekt eines speziellen
Realitätscharakters dieses Naturausschnittes. Zweifellos ist damit auch
Wesentliches dieser Kunst erfaßt. Und dennoch begnügt sie sich nicht
damit.

Daß sich die Farbengebung impressionistischer Gemälde nicht in der
Wiedergabe von Naturausschnitten erschöpft, wird einem heutigen Be-
trachter auf den ersten Blick hin deutlich. Zu offenkundig ist die Har-
monie der Farbenklänge, als daß dieser immanente Bezug der Farben
noch mit den Naturgegebenheiten verwechselt werden könnte.

Die Einheit impressionistischer Werke ruht im Sonnenlicht, darge-
stellt als Lichthelligkeit, die alles Erscheinende umfaßt uhd durchdringt.
Die Einheit dieser Lichthelligkeit herrscht auch für die empirische Wahr-
nehmung, nur wird sie in der Alltagserfahrung zumeist als solche gar
nicht erfaßt, sondern als Selbstverständliches, als das Medium alles
Sichtbaren hingenommen.

Um die Lichthelligkeit selbst durch die Farben zu präsentieren,
müssen die Dinge, die Gegenstände, für die sie sonst bloß Medium ist, in
ihrer Bestimmtheit, in ihrer Identität geopfert werden: dies ist der
Grund für das dem Impressionismus wesentliche Farbfleckgefüge.

90 Zur impressionistischen Maltechnik und Farbgebung vgl. Anthea Callen,
Les peintres impressionnistes et leur technique, Paris 1983.

91 Zitiert (mit einigen Veränderungen) nach: Hans Graber, Camille Pissaro,
Alfred Sisley, Claude Monet, nach eigenen und fremden Zeugnissen, Basel
1943, 218/219.
 
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