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Dittmann, Lorenz <Prof. Dr.>
Farbgestaltung und Farbtheorie in der abendländischen Malerei: eine Einführung — Darmstadt, 1987

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https://doi.org/10.11588/diglit.29814#0320
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306

Malerei des 19. Jahrhunderts

nach dem Grad der Dichte, mit dem es den weißen Papiergrund deckt;
selbst in seinen tiefsten Tiefen jedoch wirkt es niemals schwer und un-
durchsichtig, da der körnige Grund es nicht ganz annimmt, sondern sich,
rasterartig, in unzähligen feinsten Lichtpunkten durchsetzt.

Zustande kommt so ein „chromatisches“ Helldunkel als eine mögliche
„farbige“ Interpretation der Helldunkelgestaltung. Diese „chromatische“
Erscheinungsweise verändert das ursprüngliche, das „luminaristische“
Helldunkel grundlegend. Sammeln sich beim „luminaristischen“ Hell-
dunkel Licht und Dunkelheit in miteinander kontrastierenden Bild-
bereichen, so sind Seurats Zeichnungen bestimmt von einer Allgegen-
wart des Lichtes und des Dunkels, die den statischen Charakter dieses
Helldunkels begriindet, in unmittelbarer Entsprechung zur Wirkung
eines auf der Stelle schwingenden Lichtmediums seiner „chromo-lumi-
naristischen“ Gemälde. Insofern die Entgegensetzung von Schwarz und
Weiß alle Buntfarben übergreift, können die ,,chromatisch“-helldunklen
Zeichnungen als „universale“, auch „abstrakte“ Lösungen der in den
Gemälden verwirklichten, je konkreten und individuellen Gestaltungen
der Seuratschen kiinstlerischen Vision verstanden werden. 117

In der Tat iiberträgt Seurat die Erfindung seiner Zeichnungen bald auf
die farbige Erscheinung seiner Gemälde.

Zum ersten Mal läßt sich der ganze Weg von der Zeichnung iiber die
gemalte Studie zum endgiiltigen, repräsentativen Bild in > Une Baignade,
Asnières< (1883-1884, gegen 1887 iiberarbeitet, London, National Gal-
lery) 118 verfolgen. Dieser Weg bleibt t-ypisch fiir die Entstehungsweise
aller Hauptwerke Seurats und ist bereitsTeil seiner Methode.

Schon im jedesmaligen Ziel Seurats, ein großes, repräsentatives Bild zu
schaffen, liegt ein tiefer Gegensatz zum Impressionismus. Die Wieder-
gabe eines verwandelten, in reine Phänomenalität erhobenen Naturaus-
schnitts kann für ihn nicht Existenzgrundlage des Gemäldes sein. Seine
Vision fordert eine verpflichtende, endgültige Lösung, die Widerspiege-
lung eines Universalen in einem völlig durchkomponierten Ganzen.
Seurats Ausgangspunkt freilich ist, zumal in den ersten beiden Haupt-
werken, der >Baignade< und der >Grande Jatte<, so, wie ihn auch ein im-
pressionistischer Maler als Motiv hätte wählen können. Auch ihm liefert
eine impressionistische Freilichtszene das konkrete Motiv, das in einer
Anzahl (fünfzehn erhaltenen) Ölskizzen dargestellt wird. Im ausge-

117 Vgl. hierzu weiterführend: Verf., Seurats Ort in der Geschichte des Hell-
dunkels. Wird erscheinen in der Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Erich
Kubach.

118 FA: Jacque de Laprade, Seurat, Paris 1951. - Louis Hautecœur, Georges
Seurat, München 1974.
 
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