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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 5.1899

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Heft 3 (Dezember)
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Osborn, Max: Walter Leistikow
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https://doi.org/10.11588/diglit.6697#0141

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ii4

Dr. Max Osborn—Berlin:

WALTER LEISTIKOW—IIERLIN.

Kanal (i8gs).

das, und durfte es darum ungestraft thun,
weil er diese Wandlungen am eigenen Leibe
erfuhr, sie in tiefster Seele mitempfand.
Seine bisherige Entwicklung ist ein Spiegel-
bild der deutschen Gesammtentwicklung im
letzten Dezennium; aber seine Kunst ist die
allgemeine Kunst am Ende des Jahrhunderts
»vu par un temperament!« Und dies
Temperament wird man niemals vergessen
dürfen! Der Künstler ist im innersten Kern
seines Wesens ein echter Sohn der Gegen-
wart; was unsere Zeit bewegt, erfasst auch
ihn, vielleicht ohne dass er sich dessen immer
so ganz bewusst wird. So ward er, als er
der Schule entwuchs, ein ehrlicher Vor-
kämpfer schlichter Wirklichkeitskunst, so
machte er die Schwenkung zum Kolorismus
mit, so gelangte er in den Bann dekorativer
und schliesslich kunstgewerblicher Bestreb-
ungen. Doch niemals hat ihn berechnende
Absichtlichkeit dabei geleitet; sondern ein
spontaner Trieb, ein künstlerischer Instinkt
war es, der ihn bestimmte. Das fühlen wir,
wenn wir seinen Gang verfolgen, und darum
erweckte der Anblick seiner Werke in keiner

Entwicklungsphase je den verstimmenden
Eindruck der Modebilder. Die Sprache, die
Walter Leistikow redet, ist europäisches Ge-
meingut, aber der Dialekt, dessen er sich be-
dient, ist sein ausschliessliches Eigenthum.

Nicht von vornherein klang dieser per-
sönliche Dialekt durch seine künstlerischen
Aeusserungen. Erst nach und nach hat er
sich entwickelt. Leistikow's erstes Auftreten
ist zaghaft und voll unsicheren Suchens.
Aber allmählich gewinnt er Zuversicht und
Selbstvertrauen. Immer deutlicher sieht er,
wohin seine Begabung ihn führen will, er
lernt es, beherzt auf ein Ziel losmarschiren, so-
bald er es einmal als richtig erkannt hat, und
immer schöner und reicher entfaltet sich unter
dieser Parole in eifriger, unablässiger Ar-
beit sein Talent, bis er den Stil gefunden
hat, der seinem Empfinden und seinem
Können entspricht.

Nur in einem Punkte war Leistikow
niemals unsicher: die Frage, welches stoff-
liche Sondergebiet er sich erwählen solle,
gab es für ihn nicht. Zugleich mit dem
Entschluss, ein Maler zu werden, stand bei
 
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