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Dr. Max Osborn: Walter Leistikow.
WALTER LEISTIKOW—BERLIN.
»Dämmerung
mälde (1897).
müssen auch die Vorurtheile der pleinairisti-
schen Schulmanier allgemach weichen, und
die Erkenntniss bricht sich Bahn, dass die
Natur, ebenso wenig grau wie braun,
recht energische Lokaltöne besitzt, die
das Fluidum der Atmosphäre mit ein-
ander zu höherer Einheit verbindet. Jetzt
wird die Tönung wärmer und bestimmter,
die Palette reicher. Dunkle Schatten wagen
sich hervor, in lichter Klarheit leuchtet die
Halbkugel des abendlichen Himmels, und das
braune Haideland beginnt gelegentlich im
Widerschein der sinkenden Sonne zu glühen,
als hätten seine Kräuter Feuer gefangen. Ganz
neue Empfindungen werden hier geweckt.
Aus den Landschaften, die die Natur so
stiefmütterlich bedacht hat, steigt zu unserm
Herzen das Gefühl von der unerbittlichen
Strenge der schöpferischen Allmacht. Und
die weite melancholische Ebene will uns wie
ein Symbol des Unendlichen erscheinen.
Mit diesen Arbeiten erhob sich Leistikow
hoch über das empor, was er in Gude's
Meisteratelier gelernt hatte, zugleich aber
auch über die Leistungen der grossen Mehr-
zahl der Berliner Maler. Er war einer der
Ersten, die die neuen Lehren nicht nur äusser-
lich angenommen, sondern wahrhaft begriffen
und sich mit ihnen durchtränkt hatten. Und
als sich 1891 eine geschlossene Gruppe kon-
stituirte, deren Mitglieder, ohne sich auf ein
enges Schlagwort einzuschwören, nur das
eine Programm hatten: ohne Schablone und
Schulvorschriften zu malen, war es natürlich,
dass Leistikow dabei sein musste. Er war ein
Mitbegründer der »Vereinigung der XI« und
damit zählte er mit einem Schlage unter die
Vorkämpfer der neuen, oder wie man mangels
einer geeigneten Bezeichnung am liebsten
sagte, der »modernen« Malerei in Berlin,
Das Auftreten der »XI« war ein sensationelles
Ereigniss. Er rüttelte die Kunst und nicht
minder das Publikum an der Spree aus
ihrem sanften Schlummer, und die Folge
war ein leidenschaftlicher Protest der Ver-
treter des Schlendrians im produktiven,
kritischen und kaufenden Lager. Leistikow
hat selbst später einmal (»Zukunft«, 28. März
1896) sehr hübsch über die Gesichtspunkte
geplaudert, die bei der Begründung dieses
revolutionären Bundes massgebend waren.
»Wir alle, die wir uns zusammenthaten,«
Dr. Max Osborn: Walter Leistikow.
WALTER LEISTIKOW—BERLIN.
»Dämmerung
mälde (1897).
müssen auch die Vorurtheile der pleinairisti-
schen Schulmanier allgemach weichen, und
die Erkenntniss bricht sich Bahn, dass die
Natur, ebenso wenig grau wie braun,
recht energische Lokaltöne besitzt, die
das Fluidum der Atmosphäre mit ein-
ander zu höherer Einheit verbindet. Jetzt
wird die Tönung wärmer und bestimmter,
die Palette reicher. Dunkle Schatten wagen
sich hervor, in lichter Klarheit leuchtet die
Halbkugel des abendlichen Himmels, und das
braune Haideland beginnt gelegentlich im
Widerschein der sinkenden Sonne zu glühen,
als hätten seine Kräuter Feuer gefangen. Ganz
neue Empfindungen werden hier geweckt.
Aus den Landschaften, die die Natur so
stiefmütterlich bedacht hat, steigt zu unserm
Herzen das Gefühl von der unerbittlichen
Strenge der schöpferischen Allmacht. Und
die weite melancholische Ebene will uns wie
ein Symbol des Unendlichen erscheinen.
Mit diesen Arbeiten erhob sich Leistikow
hoch über das empor, was er in Gude's
Meisteratelier gelernt hatte, zugleich aber
auch über die Leistungen der grossen Mehr-
zahl der Berliner Maler. Er war einer der
Ersten, die die neuen Lehren nicht nur äusser-
lich angenommen, sondern wahrhaft begriffen
und sich mit ihnen durchtränkt hatten. Und
als sich 1891 eine geschlossene Gruppe kon-
stituirte, deren Mitglieder, ohne sich auf ein
enges Schlagwort einzuschwören, nur das
eine Programm hatten: ohne Schablone und
Schulvorschriften zu malen, war es natürlich,
dass Leistikow dabei sein musste. Er war ein
Mitbegründer der »Vereinigung der XI« und
damit zählte er mit einem Schlage unter die
Vorkämpfer der neuen, oder wie man mangels
einer geeigneten Bezeichnung am liebsten
sagte, der »modernen« Malerei in Berlin,
Das Auftreten der »XI« war ein sensationelles
Ereigniss. Er rüttelte die Kunst und nicht
minder das Publikum an der Spree aus
ihrem sanften Schlummer, und die Folge
war ein leidenschaftlicher Protest der Ver-
treter des Schlendrians im produktiven,
kritischen und kaufenden Lager. Leistikow
hat selbst später einmal (»Zukunft«, 28. März
1896) sehr hübsch über die Gesichtspunkte
geplaudert, die bei der Begründung dieses
revolutionären Bundes massgebend waren.
»Wir alle, die wir uns zusammenthaten,«