Walter Leistikow.
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Grunewalds. Eine Zeit lang geräth er völlig
in den Bann dieses neuen Kreises, und die
Wald-Interieurs werden für mehrere Jahre seine
Spezialität. Sie bilden zugleich die erste Etappe
in der Entwickelung seines persönlichen Stils.
Diese Bilder malte kein anderer als er, und
das Publikum gewöhnte sich daran, an ihnen
Walter Leistikow zu erkennen. Was sie von
allen übrigen Waldbildern unterschied, war
vor allem die originelle Art des Naturaus-
schnitts. Der Künstler wählte seinen Stand-
punkt am liebsten im tiefen Innern des Ge-
hölzes, wo der begrenzte Blick nur die Stämme
der Bäume, nicht ihre Wipfel sehen kann.
So schneidet der Rahmen dieser Gemälde
fast immer quer durch die Buchen und Kiefern
des Vordergrundes, was sehr aparte Wirk-
ungen ergab. Ringsum ist alles geschlossen,
wie von einem Zaubernetz umsponnen. Nur
die Sonne dringt durch das Dach von Zweigen
und Blättern, ihre Strahlen stehlen sich durch
die winzigste Oeffnung, sie lassen auf den
durchfurchten Baumrinden, auf den weichen
Moosbänken, auf den Gräsern oder dem
braungelben Herbstlaub des Bodens goldhelle
Fleckchen auftauchen und dazwischen in
krausen Linien die Schatten der Kronen er-
scheinen. Mit grosser Kunst traf Leistikow
hier den Karakter der Jahreszeit, den süssen
Duft des Frühlings, die lastende Hitze
schwüler Sommertage, den feuchten Nebel-
wind, der »herbstlich durch die dürren Blätter
säuselt,« und die scharfe klare Luft des
Berliner Winters, wenn die glitzernden Kry-
ctalle der Schneedecke das Licht des Tages
in mannigfachen Nuancen reflektiren.
Mit diesen Bildern machte sich Leistikow
völlig frei von der in Deutschland damals,
zu Beginn der 90er Jahre, noch herrschenden
Tradition. Für jeden Sehenden war es klar,
dass diese jüngere Landschaftsschilderung in
ihren Voraussetzungen wie ihren Zielen mit
der älteren nichts mehr gemein hatte. Hier
wurde keine stoffliche Neugier befriedigt,
WALTER LEISTIKOW.
Oelgemälde: »Aus der Markt. (lHgtiJ.
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Grunewalds. Eine Zeit lang geräth er völlig
in den Bann dieses neuen Kreises, und die
Wald-Interieurs werden für mehrere Jahre seine
Spezialität. Sie bilden zugleich die erste Etappe
in der Entwickelung seines persönlichen Stils.
Diese Bilder malte kein anderer als er, und
das Publikum gewöhnte sich daran, an ihnen
Walter Leistikow zu erkennen. Was sie von
allen übrigen Waldbildern unterschied, war
vor allem die originelle Art des Naturaus-
schnitts. Der Künstler wählte seinen Stand-
punkt am liebsten im tiefen Innern des Ge-
hölzes, wo der begrenzte Blick nur die Stämme
der Bäume, nicht ihre Wipfel sehen kann.
So schneidet der Rahmen dieser Gemälde
fast immer quer durch die Buchen und Kiefern
des Vordergrundes, was sehr aparte Wirk-
ungen ergab. Ringsum ist alles geschlossen,
wie von einem Zaubernetz umsponnen. Nur
die Sonne dringt durch das Dach von Zweigen
und Blättern, ihre Strahlen stehlen sich durch
die winzigste Oeffnung, sie lassen auf den
durchfurchten Baumrinden, auf den weichen
Moosbänken, auf den Gräsern oder dem
braungelben Herbstlaub des Bodens goldhelle
Fleckchen auftauchen und dazwischen in
krausen Linien die Schatten der Kronen er-
scheinen. Mit grosser Kunst traf Leistikow
hier den Karakter der Jahreszeit, den süssen
Duft des Frühlings, die lastende Hitze
schwüler Sommertage, den feuchten Nebel-
wind, der »herbstlich durch die dürren Blätter
säuselt,« und die scharfe klare Luft des
Berliner Winters, wenn die glitzernden Kry-
ctalle der Schneedecke das Licht des Tages
in mannigfachen Nuancen reflektiren.
Mit diesen Bildern machte sich Leistikow
völlig frei von der in Deutschland damals,
zu Beginn der 90er Jahre, noch herrschenden
Tradition. Für jeden Sehenden war es klar,
dass diese jüngere Landschaftsschilderung in
ihren Voraussetzungen wie ihren Zielen mit
der älteren nichts mehr gemein hatte. Hier
wurde keine stoffliche Neugier befriedigt,
WALTER LEISTIKOW.
Oelgemälde: »Aus der Markt. (lHgtiJ.