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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 5.1899

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Heft 5 (Februar)
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Gurlitt, Cornelius: Deutsche Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.6697#0250

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Deutsche Baukunst.

Ich sehe da wohl eine kräftige Sonderart
und viel lehrreiche Anregungen*); aber ich
sehe ebensoviel historisches Studium. Mit
Eifer messen und publiziren die Amerikaner
ihre eigenen alten Werke, ihren »Kolonial-
stil«. Auch sie suchen national-historisch zu
sein. Auch sie schauen nebenbei nach fremden
Stilen aus. Sie sehen Europa von der Ferne
als Studienfeld an und sind hinsichtlich der
Wahl des Stiles weniger durch nationale
Grenzen beschränkt, als wir; sie suchten
Länder auf, wohin die Studien der euro-
päischen Völker weniger drangen: Spanien,
Südfrankreich und die Byzantinischen Lande.
Wer ihre ausgezeichneten Publikationen
kennt, wer des grössten ihrer Meister, des
H. H. Richardson, Werke studirte, der findet,
dass die südeuropäische Kunst des 10.—13.
Jahrhunderts heute in Amerika die frühere
Vorliebe für Japan verdrängt hat: in jedem
naturalistischen Blatt, in jedem Profil, in der
gesammten Auffassung des Aufbaues, der
Quaderung, der Gruppirung findet man
byzantinisch - romanische Anklänge. Nun
ist es gewiss sehr richtig, dass in dieser
Frühkunst, wie in jeder solcher viel An-
regendes steckt, eine gewisse Naivität, eine
gewisse Befreiung von der Regel. Wie der
Prärafaelismus segensreich wirkte, so thut
das auch der Prägothicismus — um ein ab-
scheuliches Wort mehr einzuführen. Es ist
also gut, den Anregungen von drüben zu
folgen. Es ist aber nicht gut, sie für besser
zu halten, als die, welche von den anderen
»primitiven« Kunstarten, der Deutsch-Renais-
sance, der Spätgothik oder vom Japonismus
kommen, der ja auch in Amerika ein starkes
Wort eingeworfen hat. Mir will scheinen,
als sei es sehr thöricht, wollten wir die bis-
her erlangten architektonischen Ausdrucks-
mittel beiseite legen, für falsch erklären, um
uns von nun an aus Palermo, Toledo oder
Tokio über New York und Chicago neue
zu holen, die doch sicher nicht mehr die
Unseren werden können, als die Alten es sind.

*) Vgl. namentlich auch November-Heft 1895 der
»Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration«t
woselbst zahlreiche moderne amerikanische Innen-Archi-
tekturen, Kamine, Möbel etc. abgebildet sind; ferner in
Koch's »Moderne Innen-Architektur«, Bd. II. S. 50—7°»
eine Auswahl Arbeiten amerikanischer Architekten. D. R.

Ein Architekt, der jetzt viel genannt
wird, ist Bruno Schmitz. In welchem Stil
baut er? Man kann antworten: Romanisch,
wie die Amerikaner. Was ihn aber fähig
machte, so romanisch zu bauen, wie er thut,
das ist die Kenntniss unserer künstlerischen
Gesammt - Entwickelung. Wer ihn kennt,
weiss, dass auch er ebensowenig »naiv« ist,
das heisst aus dem architektonischen Nichts
heraus neu schafft, wie irgend einer der
leitenden Amerikaner. Auch wer jenseits
des Ozeans Führer der Modernen sein
will, hat seine feste stilistische Schulung
hinter sich. Die Naiven, künstlerisch Unaus-
gebildeten bauen dort, wie Tausende von
Beispielen lehren, schlecht und recht irgend
einen historischen Stil; die Höchstentwickelten
allein machen sich vom Stile frei oder über-
winden in sich einen Stil durch den andern,
um so zum eigensten und daher schlagendsten
Formausdruck zu kommen.

Wir stehen sichtlich inmitten eines
Wandels im Geschmack. Das Entscheidende
in diesem ist nicht der Wechsel der stilistischen

H. CHRISTIANSEN. Verglasung für ein Schlaf-Zimmer.

lltuo. V. 2.
 
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