Internationale Kunstausstellung München IQIJ-
KICHARD BLOOS—PARIS.
»RENNPLATZ VON LONGCHAMPS«
lebendiger Regung, und neben der Tüchtigkeit
der Alten erfreut das Aufblitzen neuer Gedan-
ken, das frische Vorwärtsdringen junger Tempe-
ramente. Freilich, die allergrünste Jugend, die
die Umwälzungsgedanken jedes neuen Zeitab-
schnittes eisenfresserisch karikiert, ist in der
Sezession nicht vertreten. Es gebührt ihr und
steht ihr wohl an, sich in ihren Spezial-Ausstel-
lungen auszutoben und in ihren Spezial- Zeit-
schriften Reif e als Arterienverkalkung, Ruhe als
Rückenmarkschwindsucht zu verleumden. Der
Nachwuchs der Sezession setzt sich aus klaren
und schon stark in ihre eigene Form hineinge-
wachsenen Kräften zusammen. Karl Caspar
geht seinen Weg zum altarfähigen und von ech-
ter Religiosität durchbebten biblischen Gemälde
mit Ruhe und Besonnenheit weiter. Biblische
Stoffe äußern ja, da sie kultisch geadelt und
von pathetischer Bedeutung durchströmt sind,
gerade jetzt wieder große Anziehungskraft.
Viele suchen in ihnen nur den großen Gegen-
stand, den einzig entsprechenden Vorwand zur
Entfaltung großer künstlerischer Mittel. So
wie etwa ein Musiker eine Messe komponieren
mag, nur weil ihn nach der Entfesselung pathe-
tischer Tonmassen verlangt. Bei Caspar liegt der
Fall anders, tiefer, religiöser. Es bebt, es zittert
bei ihm wirkliche Innigkeit, urchristliche, ein-
fache Ergriffenheit vor unseres Heilands Leiden
und Sterben und all den schönen alten Dingen,
von denen allsonntäglich die Glocken reden,
die uralten Domglocken der Städte, die hellen,
rührenden, in Wald und hohem Himmel dünn
ausklingenden Glocken der Dörfer. Caspars
Auffassung ist frei von jeder blasphemischen
Schrulle, von allem Theater, auch von den for-
cierten Absonderlichkeiten, denen man bei
modernen Darstellungen biblischer Stoffe so
oft begegnet. Er hatte Hemmungen zu über-
winden, ehe er dahin kam, wo er heute ist. Ich
bin sicher, daß der Gesang, die Melodie sich
immer klarer aus reinen Schöpfungen lösen wer-
den. Ein Blick hinüber zu Stucks Kreuzigung.
Man spricht in München viel von dem Bilde
und zweifellos bedeutet es eine Aufraffung,
eine gesammelte und im ganzen nicht unbeträcht-
liche Temperamentäußerung. Aber der deko-
rative Grundzug in Stucks Schaffen haftet auch
dieser Komposition an; sie macht mehr Effekt
als Wirkung, und man denkt unwillkürlich: so
ungefähr könnte auf dem Münchner Künstler-
theater die Hauptszene eines Mysteriums aus-
sehen. Es ist viel mehr die Wichtigkeit des welt-
historischen Aktes, was Stuck hier gemalt hat,
als die ewig unbegreifliche Tatsache des größten
Opfers und der Erlösung. Anders wieder hat
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KICHARD BLOOS—PARIS.
»RENNPLATZ VON LONGCHAMPS«
lebendiger Regung, und neben der Tüchtigkeit
der Alten erfreut das Aufblitzen neuer Gedan-
ken, das frische Vorwärtsdringen junger Tempe-
ramente. Freilich, die allergrünste Jugend, die
die Umwälzungsgedanken jedes neuen Zeitab-
schnittes eisenfresserisch karikiert, ist in der
Sezession nicht vertreten. Es gebührt ihr und
steht ihr wohl an, sich in ihren Spezial-Ausstel-
lungen auszutoben und in ihren Spezial- Zeit-
schriften Reif e als Arterienverkalkung, Ruhe als
Rückenmarkschwindsucht zu verleumden. Der
Nachwuchs der Sezession setzt sich aus klaren
und schon stark in ihre eigene Form hineinge-
wachsenen Kräften zusammen. Karl Caspar
geht seinen Weg zum altarfähigen und von ech-
ter Religiosität durchbebten biblischen Gemälde
mit Ruhe und Besonnenheit weiter. Biblische
Stoffe äußern ja, da sie kultisch geadelt und
von pathetischer Bedeutung durchströmt sind,
gerade jetzt wieder große Anziehungskraft.
Viele suchen in ihnen nur den großen Gegen-
stand, den einzig entsprechenden Vorwand zur
Entfaltung großer künstlerischer Mittel. So
wie etwa ein Musiker eine Messe komponieren
mag, nur weil ihn nach der Entfesselung pathe-
tischer Tonmassen verlangt. Bei Caspar liegt der
Fall anders, tiefer, religiöser. Es bebt, es zittert
bei ihm wirkliche Innigkeit, urchristliche, ein-
fache Ergriffenheit vor unseres Heilands Leiden
und Sterben und all den schönen alten Dingen,
von denen allsonntäglich die Glocken reden,
die uralten Domglocken der Städte, die hellen,
rührenden, in Wald und hohem Himmel dünn
ausklingenden Glocken der Dörfer. Caspars
Auffassung ist frei von jeder blasphemischen
Schrulle, von allem Theater, auch von den for-
cierten Absonderlichkeiten, denen man bei
modernen Darstellungen biblischer Stoffe so
oft begegnet. Er hatte Hemmungen zu über-
winden, ehe er dahin kam, wo er heute ist. Ich
bin sicher, daß der Gesang, die Melodie sich
immer klarer aus reinen Schöpfungen lösen wer-
den. Ein Blick hinüber zu Stucks Kreuzigung.
Man spricht in München viel von dem Bilde
und zweifellos bedeutet es eine Aufraffung,
eine gesammelte und im ganzen nicht unbeträcht-
liche Temperamentäußerung. Aber der deko-
rative Grundzug in Stucks Schaffen haftet auch
dieser Komposition an; sie macht mehr Effekt
als Wirkung, und man denkt unwillkürlich: so
ungefähr könnte auf dem Münchner Künstler-
theater die Hauptszene eines Mysteriums aus-
sehen. Es ist viel mehr die Wichtigkeit des welt-
historischen Aktes, was Stuck hier gemalt hat,
als die ewig unbegreifliche Tatsache des größten
Opfers und der Erlösung. Anders wieder hat
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