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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Michel, Willhelm: Der Tod des Ästheten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0080

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Der 7 od des Asthetev.

Solche vorbereitende
Zeiten haben, wie ju-
gendliche Menschen,
eine Scheu vor der
Totalität des Lebens.
Sie halten sich an
das ihnen zunächst
Zugängliche, an das
Logische und das
Ästhetische. Denn
mit der Vernunft und
der Empfindung ist
dieses Beides unmit-
telbar auch gegeben.
Hier finden sie das
Feste, das sie su-
chen : das Ästheti-
sche als unmittelbare
Tatsache der Empfin-
dung, das Logische
in der einfachen, un-
beeinflußten Betäti-
gung der reinen Ver-
nunft. Dagegen er-
scheinen die sittli-
chen Werte durch Re-
lativität maßlos ver-
dunkelt, wo nicht gar
durch Lebenszweifel
oder überschießen-
den Lebensdrang
gänzlich in Frage ge-
stellt. Sie bedrücken
den jugendlichen
Geist durch ihre Un-

EMMY ZWEYbRÜCK -WIEN. »THEATEKBEUTEL UND SCHLEIFE«

Sicherheit. Er macht
daher den Versuch,
ohne sie auszukom-
men. Er macht den
Versuch, sein Bild
der Welt und des
menschlichen Lebens
ohne Zuhilfenahme
sittlicher Wertbe-
griffe zu gestalten,
indem er an deren
Stelle die ästheti-
sche Wertung setzt.
Jugendliche Men-
schen tun dies, wie
gesagt,fastimmer. In
jugendlichen Zeiten,
wie wir deren eine
gerade hinter uns
haben, greifen auch
sonst „erwachsene"
Geister zu diesem
Aushilfemittel. Man
denke nur daran, wie
selbst ein Nietzsche
die sittlichen Wert-
setzungen dadurch
umgangen zu haben
dachte, daß er an-
stelle von „gut" und
„böse" gelegentlich
die ästhetischenWer-
tungen „anständig"
und „unanständig"
gebrauchte; ohne ein

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