W. LAMMERT. KLASSE PROF. LUKSCH.
»KLEINPLASTIK IN STEINZEUG«
VON DEUTSCHER FORM.
Bisher galt der Krieg als alleinige Angelegen-
heit der Waffen, aber wie so Vieles durch
diesen Krieg zu Fall kam, so auch diese Meinung.
Krieg wird nicht nur mit Gewehren und Kanonen
geführt, sondern auch mit Sequestrationen, mit
Verleumdungen, mit Nachrichten-Fälschungen
und Anzweiflungen der gegnerischen Kultur.
Nie ist das so stark in die Erscheinung getreten
wie diesesmal. Sobald die ersten hitzigen Er-
örterungen über „Schuld" und „Nichtschuld"
an dem Weltkriege ausgetauscht waren, ward
hüben wie drüben, besonders drüben, das
Völkerringen begriffen als blutige Auseinan-
dersetzung zwischen zwei entgegenge-
setzten Kulturen. Schmok stürzte sich,
besonders drüben, mit Eifer auf diese Gelegen-
heit zum Tiefsinn, Man brauchte ja nur nach-
zubeten. Uralter Unsinn ward neu geprägt und
wieder in Kurs gesetzt. Urteile der Völker
über einander, die kaum einen anderen Vorzug
hatten als den, allgemein faßlich und oft wieder-
holt zu sein, traten in die Debatte. Und jeder
Mensch, dem es ernstlich um Erkenntnis der
Wahrheit und Gewinnung eines leidlich richtigen
Weltbildes zu tun war, konnte wieder einmal
feststellen, mit welch geringer Liebe die
Völker einander anzusehen gewohnt sind —
und mit welcher Hartnäckigkeit sie ihre wechsel-
seitig über einander geprägten Vorurteile fest-
halten. Die Gerechtigkeit erfordert, zu sagen,
daß geringere Geister auch bei uns sich an
dieser Schlacht der Gedankenlosigkeiten be-
teiligten. Aber die Mehrzahl der Kämpfer
stellte aus sattsam bekannten Gründen die
Gegenseite. Ihr war es ja auch vorbehalten,
jene hübsche Anekdote zu liefern, wonach einer
ihrer Krieger, ein ganz schwarzer Nigger vom
Senegal, zudem von ihm bewachten Gefangenen,
einem deutschen Hochschullehrer, voll Stolz
die Worte sprach: „Ihr, ihr habt ja keine Kultur,
aber wir......."
Dieser arme rabenschwarze Nigger sprach
damit die wichtigste der erwähnten Prägungen
aus, mit denen der Injurienkrieg geführt wird.
Wie alt mag sie wohl sein, die romanische
Weisheit, daß die Deutschenkeine Kultur haben?
XVUI. Mai 1915. 7
•43
»KLEINPLASTIK IN STEINZEUG«
VON DEUTSCHER FORM.
Bisher galt der Krieg als alleinige Angelegen-
heit der Waffen, aber wie so Vieles durch
diesen Krieg zu Fall kam, so auch diese Meinung.
Krieg wird nicht nur mit Gewehren und Kanonen
geführt, sondern auch mit Sequestrationen, mit
Verleumdungen, mit Nachrichten-Fälschungen
und Anzweiflungen der gegnerischen Kultur.
Nie ist das so stark in die Erscheinung getreten
wie diesesmal. Sobald die ersten hitzigen Er-
örterungen über „Schuld" und „Nichtschuld"
an dem Weltkriege ausgetauscht waren, ward
hüben wie drüben, besonders drüben, das
Völkerringen begriffen als blutige Auseinan-
dersetzung zwischen zwei entgegenge-
setzten Kulturen. Schmok stürzte sich,
besonders drüben, mit Eifer auf diese Gelegen-
heit zum Tiefsinn, Man brauchte ja nur nach-
zubeten. Uralter Unsinn ward neu geprägt und
wieder in Kurs gesetzt. Urteile der Völker
über einander, die kaum einen anderen Vorzug
hatten als den, allgemein faßlich und oft wieder-
holt zu sein, traten in die Debatte. Und jeder
Mensch, dem es ernstlich um Erkenntnis der
Wahrheit und Gewinnung eines leidlich richtigen
Weltbildes zu tun war, konnte wieder einmal
feststellen, mit welch geringer Liebe die
Völker einander anzusehen gewohnt sind —
und mit welcher Hartnäckigkeit sie ihre wechsel-
seitig über einander geprägten Vorurteile fest-
halten. Die Gerechtigkeit erfordert, zu sagen,
daß geringere Geister auch bei uns sich an
dieser Schlacht der Gedankenlosigkeiten be-
teiligten. Aber die Mehrzahl der Kämpfer
stellte aus sattsam bekannten Gründen die
Gegenseite. Ihr war es ja auch vorbehalten,
jene hübsche Anekdote zu liefern, wonach einer
ihrer Krieger, ein ganz schwarzer Nigger vom
Senegal, zudem von ihm bewachten Gefangenen,
einem deutschen Hochschullehrer, voll Stolz
die Worte sprach: „Ihr, ihr habt ja keine Kultur,
aber wir......."
Dieser arme rabenschwarze Nigger sprach
damit die wichtigste der erwähnten Prägungen
aus, mit denen der Injurienkrieg geführt wird.
Wie alt mag sie wohl sein, die romanische
Weisheit, daß die Deutschenkeine Kultur haben?
XVUI. Mai 1915. 7
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