Deutsche Maler.
aber scheinbar mit so großem Temperament und
solcher fleischlichen Heftigkeit gemalt, daß man
während eines AugenblicksCorinthfür den größe-
ren Pinselvirtuosen halten könnte, für den Mann
der reicheren Palelte und der mannigfaltigeren
Möglichkeiten. Das alles aber kann nur für
einen Augenblick bestehen; bald entdeckt man,
daß Corinth, von Rubens und Jordaens kom-
mend, eigentlich keine Geschichtsaufgabe mehr
zu erfüllen hat, und daß er darum weniger ein
Fortsetzer als ein Epigon ist. Für solche Bedingt-
heit des Künstlertums spricht auch die Tatsache,
daß Corinth es scheinbar nötig hat, immer dann,
wenn er Kraft und Tiefe zeigen will, die Lite-
ratur, die Mythologie, das Drama oder die Anek-
dote zu beschwören. Von solchen Nebentrieben
berichten seine Selbstbildnisse; hierher gehören
die Theatraliken von der grausamen Salome,
dem tanzenden Zeusknaben oder dem Mädchen,
das einen Stier am Nasenring führt. Die Gurlitt-
Ausstellung hat nun mit kluger Einsicht die
meisten dieser gefährdeten und darum gefähr-
lichen Dekorationsbilder fortgelassen; dadurch
steigt der Maler Corinth und so nähert er sich
Liebermann. Streicht man die Rubenserinne-
rung, das Literaturbedürfnis und das Atelier-
pathos, so bleibt Corinth ein Stillebenmaler
von ungewöhnlichem Können und lebendigem
Geschmack. Auf einem Kreuzigungsbild weiß
er aus den metallischen Reizen einer Krieger-
rüstung soviel aparte Lustigkeit zu arrangieren,
daß man darüber nach der Tiefe der Empfin-
dung zu fragen vergißt. Corinth ist kein eigent-
lich moderner Maler, aber ein ungewöhnlicher
Virtuose; kein skeptischer Intellekt, wie der
Großstädter des neuen Jahrhunderts, aber
ein kluger und vielwissender Kenner. — Neben
Liebermann und dessen hartgeschliffener Männ-
lichkeit wirkt der massive und viel derbere
Corinth als weibliches Prinzip, robert Breuer.
LOVIS CORINTH—BERLIN. »SELBSTBILDNIS« (1903) VERLAG BRUNO CASSIRER.
aber scheinbar mit so großem Temperament und
solcher fleischlichen Heftigkeit gemalt, daß man
während eines AugenblicksCorinthfür den größe-
ren Pinselvirtuosen halten könnte, für den Mann
der reicheren Palelte und der mannigfaltigeren
Möglichkeiten. Das alles aber kann nur für
einen Augenblick bestehen; bald entdeckt man,
daß Corinth, von Rubens und Jordaens kom-
mend, eigentlich keine Geschichtsaufgabe mehr
zu erfüllen hat, und daß er darum weniger ein
Fortsetzer als ein Epigon ist. Für solche Bedingt-
heit des Künstlertums spricht auch die Tatsache,
daß Corinth es scheinbar nötig hat, immer dann,
wenn er Kraft und Tiefe zeigen will, die Lite-
ratur, die Mythologie, das Drama oder die Anek-
dote zu beschwören. Von solchen Nebentrieben
berichten seine Selbstbildnisse; hierher gehören
die Theatraliken von der grausamen Salome,
dem tanzenden Zeusknaben oder dem Mädchen,
das einen Stier am Nasenring führt. Die Gurlitt-
Ausstellung hat nun mit kluger Einsicht die
meisten dieser gefährdeten und darum gefähr-
lichen Dekorationsbilder fortgelassen; dadurch
steigt der Maler Corinth und so nähert er sich
Liebermann. Streicht man die Rubenserinne-
rung, das Literaturbedürfnis und das Atelier-
pathos, so bleibt Corinth ein Stillebenmaler
von ungewöhnlichem Können und lebendigem
Geschmack. Auf einem Kreuzigungsbild weiß
er aus den metallischen Reizen einer Krieger-
rüstung soviel aparte Lustigkeit zu arrangieren,
daß man darüber nach der Tiefe der Empfin-
dung zu fragen vergißt. Corinth ist kein eigent-
lich moderner Maler, aber ein ungewöhnlicher
Virtuose; kein skeptischer Intellekt, wie der
Großstädter des neuen Jahrhunderts, aber
ein kluger und vielwissender Kenner. — Neben
Liebermann und dessen hartgeschliffener Männ-
lichkeit wirkt der massive und viel derbere
Corinth als weibliches Prinzip, robert Breuer.
LOVIS CORINTH—BERLIN. »SELBSTBILDNIS« (1903) VERLAG BRUNO CASSIRER.