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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Hübner, Friedrich Markus: Neue Werke von Willi Geiger, Charlottenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0269

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WILLI GEIGER -
CHARLOTTENB.
GEMÄLDE
»HEISSER TAG«

NEUE WERKE VON WILLI GEIGER-CHARLOTTENBURG.

Von Willi Geiger, dem Radierer, liegen
neuerdings gemalte und graphische Werke
vor, die gewissermaßen einen dritten Schaffens-
abschnitt des Künstlers einleiten, und als reine
und objektive Leistungen, als etwas Außer-
ordentliches dastehen. Zum Dekorativen seiner
Anfänge (Exlibris) und zur Linienkunst seiner im
Sprunge erhaschten Stierkämpfer-Wiedergaben
gewinnt Geiger jetzt Blick und Strebung auch
für das eigentlich Farbige, für Ton und Zwischen-
ton, für die malerische und gefüllte Räumlichkeit.
Graue, schieferblaue, erdgelbe Werte haben
zwar noch den Vorrang; noch herrscht eine Art
Widerstreit zwischen zwei Willen, dem zur Ent-
sinnlichung und dem zum Gegenteil. Die Zeich-
nung, ehedem für Geiger das Mittel, den Gegen-
stand gerade bei seiner greifbaren Sinnlichkeit
zu packen, hilft jetzt als Gerüst zur geistigen
und inwendigen Wesenscharakterisierung. Die
Lage einer Schulter und des Armes dehnt und
krümmt sich hinaus über Gestalt und Maß aller
gegebenen Natürlichkeit; der vorstürmende
Schritt des Fahnenträgers ist soldatisch nicht

minder unglaubwürdig als die Art der Körper-
stellung des „sitzenden Landsturmmanns". Die
Empfindung billigt diese Naturwidrigkeiten aber,
weil Geistig-Organisches die Erscheinung etwa
des Schmerzes, des Muts, der religiösen Ver-
zückung, des dumpfen Zusammenbruchs seine
fremdartig-herausgearbeitete Schaubarkeit nach
besonderen und eigenen Gesetzen erlangen darf.

In der Lithographienreihe : „Unseren Helden
1914" (erschienen im Graphik-Verlag, Mün-
chen), welche gleichzeitig mit den erwähnten
Ölbildern in den Anfangsmonaten des Krieges
entstand, erstaunt man einerseits vor der ge-
mäldeartigen Anlage, dem weichen, schatten-
reichen Wechselspiel der Schwarz-Weiß-Werte,
andererseits vor der Kühnheit, mit der hier der
Krieg seiner heutigen Vorgangswirklichkeit ent-
kleidet und von ihm allein das Überzeitliche
und Bleibend-Geistige behalten ward. Geiger
gehorcht dabei nur den tieferen Strebungen
unseres Seelenzustands, indem er sowohl als
Mensch wie als Künstler, diesen Krieg erst in
zweiter Linie als eine letzte Aktualität, als ein

XVIIL Juli 1915. 3

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