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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Eisler, Max: Polnische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0278

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Polnische Kunst.

Jan Matejko kann man sich mannigfacher Er-
innerungen an die belgische Reihe von Wappers
bis Gallait nicht völlig erwehren, mögen Krakau
und Veit Stoß noch so starke Beisteuer gebracht
haben. Selbst ein so sehr aufs rein Malerische
zurückgezogener Charakter wie der des stillen,
frühverstorbenen Maximilian Gierymski macht
die Wendung des französischen Kolorismus vom
losbrechenden Akkord zu verhaltenen Tonsäßen
offenkundig mit. Aber gegen all diese unleugbaren
Beziehungen steht doch die unmittelbare Kraft der
inneren Sprache der führenden Vorgänger, die
packende innere Selbständigkeit, die obenauf bleibt,
für die Wirkung den Ausschlag gibt und dem
jüngeren Geschlecht ein für allemal den Weg seines
Werkes weist: dem Kulturfortschritt der westeuro-
päischen Malerei lernend zu folgen, das Gelernte
aber in die eigene und in die Volksart, deren
sinnliche und seelische Darstellung das Um und
Auf der Kunst bleibt, umzusehen.

Der Begriff „Temperament" erfährt hier eine
wesentliche Umdeutung. Er geht nicht rein in der
Art malerischer Wahrnehmung auf, sondern äußert
sich als rassige Haltung des geistigen Gesamt-
charakters. Seinem Ungestüm und seiner vor-

wiegend repräsentativen Absicht entsprechen fast
durchwegs große Formate, auch dort, wo der Stoff
ihnen recht eigentlich widerstrebt. Schon damit
ist der mehr extensive als intensive Zug bezeichnet,
der in der Gesamtleistung vorherrscht. Die Zeich-
nung ist von reicher, losgelassener Bewegung, sie
geht dem Straffen und Einsilbigen weit aus dem
Wege und gibt sich dem freien Ausleben auf der
Fläche fast ungebunden hin. Der nationale Ein-
schlag überzeugt vor allem in der Farbe, sie schöpft
aus der Erfahrung und dem Geiste des Volkes, hat
Lust am Offenen und Starken, an klaren, schlagen-
den Wirkungen, nicht aber an intimen, gesammelten
Reizen. Aus allen diesen Gründen wiegt in der
Komposition das dekorative Element weitaus vor.
Zuleßt aber bestimmt jener seelische, von den ge-
meinsamen Gedanken und Empfindungen des Volkes
getragene Gehalt die Gesamterscheinung der Werke
und ihren Wert als sinnliche Vermittler des gegen-
wärtigen polnischen Geisteslebens. Es ist Ideenkunst,
die selbst den grundgebenden Realismus durch
Züge des Typischen und Allgemeinen überwindet.

Bei solchen Vorausseßungen kann es nicht
wundernehmen, daß das Figürliche in den Dar-
stellungen an Zahl und Gewicht vor dem Land-

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