Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Kunst und der Tod
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0286

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Kunst und der Tod.

PROF. MAX HANS KÜHNE—DRESDEN. »ENTWURF FÜR EIN KRIEGER-GRABMAL«

Kunst genießt, damit in eine Welt eintritt, in
der die Werte ein festes, durch keinen Wider-
spruch in Frage gestelltes Leben führen. Wes-
halb nennen wir die Schönheit die „ewige"?
Offenbar deshalb, weil alle Empfindung von
„Schönheit" begleitet ist von Vorstellungen
eines unaufhörlichen, großen Daseins. Ein
Mensch, der aus echter Empfindung heraus
spricht: „Dies ist schön!", der ist in diesem
Augenblicke dem Tode entrückt. Der Tod hat
für ihn seinen Sinn verloren. Sein Sinn, das
ist seine wertstörende Funktion, das, was der
Apostel „den Stachel des Todes" nennt.

Diese Immunisierung gegen den Tod tritt so-
gar nicht nur bei den großen Form-Ereignissen
ein. Der Mensch tritt überhaupt in allen Fällen,
in denen er sich „ästhetisch verhält", mit seinem

Lebensgefühl unter günstigere Bedingungen.
Das einfachste und nächstliegende Beispiel
bietet der Genuß der Landschaft. Inwieferne
auch er eine todverdrängende Wirkung übt,
soll weiter unten angedeutet werden. Was er
unmittelbar liefert, ist jene günstige Beein-
flussung des menschlichen Lebensgefühls, die
sich am reinsten bei dem Genüsse der großen
Fernsichten einstellt. Landschaftsgenuß über-
hauptberuht, soweit seine rein ästhetische Seite
in Frage kommt, auf der glücklichen Zusammen-
wirkung von Selbstvergessen und Selbst-
genuß. Beides widerspricht sich nur scheinbar.
Denn was der Mensch hier von seinem Selbst
vergißt, das sind in der Hauptsache seine Be-
grenzungen, seine sozialen und charaktero-
logischen Bedingtheiten. Dafür treten die

272
 
Annotationen