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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Michel, Wilhelm: Die Kunst und der Tod
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0289

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Die Kunst und der Tod.

ENTWURF :
K. HAIGER
»KRIEGER-
GRABMAL«

künstlerische Schaffen zunächst nur vom Stand-
punkte des Künstlers aus betrachtet: das künst-
lerische Schaffen ist ein Objektivieren; alles
Objektivieren aber bedeutet eine Befreiung von
Hemmungen; deshalb wirkt alles künstlerische
Schaffen von Grund aus und seinem Wesen
nach günstig, zunächst innerhalb der Seele
des Schaffenden selbst. Dies ist als Tatsache
hinlänglich bekannt. Viele Äußerungen von
Künstlern bezeugen die lebenfördernde Wir-
kung des Herausstellens innerer Dinge im Kunst-
werk. Für den Genießenden liegen die Dinge
insofern anders, als das Kunstwerk nicht aus
seiner Seele gekommen ist, mithin auch nicht
Objektivierung seines Selbst enthält. Aber die

entlastende Wirkung kommt nicht nur der
eigenen Objektivierung zu, sondern überhaupt
jeder künstlerischen Formung. Jede künst-
lerische Form ist ja Bild eines Seelischen; sie
ist eine Vermenschlichung und Faßbarmachung.
Jede Form wirkt daher im selben Sinne ent-
lastend wie der Mythus, der ja auch eine Faß-
barmachung von zunächst menschenfremden
und menschenfeindlichen Dingen ist. Es ist dies
der Sinn der biblischen Sage von der ehernen
Schlange: sobald das Dunkle, Unbekannte, Ge-
fährliche zum Bilde geformt und angeschaut
wird, büßt es viel von seiner Gegensätzlichkeit
zum Menschen ein. Die Form bringt die Ver-
menschlichung und damit die Entwaffnung.

XVIII. J»ll 1915- 5

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