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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Jaumann, Anton: Gestalten und Schildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0298

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Gestalten und Schildern.

FRIEDA RUSS. SCHULE ZWEYBRUCK.

»TISCHDECKE MIT WOLLSTICKEREI«

arbeitet der Mensch daran, und nie wird diese
Arbeit zu Ende kommen. Vernunft, Zweck-
mäßigkeit, Gerechtigkeit und Schönheit waren
von je die Gesichtspunkte, die bei dieser Welt-
gestaltung leiteten. Die Begierde nach sinn-
lichen Reizen ging wohl der Sehnsucht nach
Schönheit vorauf, aber beide haben sich nie
weit voneinander getrennt.

Je weiter die Weltgestaltung ging, je ein-
schneidender sie wurde, desto mehr fühlte sich
der Mensch von dem Bann der Unfreiheit erlöst.
Er war an die Welt gefesselt, er empfing von
ihr die Gesetze, die Bedingungen seiner Indi-
vidualität. Das war nicht zu ändern. Aber er
wurde mit der Welt wenigstens einigermaßen
wieder quitt, indem er sein Wollen ausstrahlen
ließ in die Außenwelt und sie nach dem Be-
dürfnis seiner Sinne und seines Verstandes um-
formte. — Soweit also die Kunst eine Ge stal-
tung zur Schönheit ist, stellt sie eine Stufe,

und zwar die höchste Stufe, dieser Auseinan-
dersetzung dar. In ihr wird der tiefliegende
Gegensatz zwischen Mensch und Welt am voll-
kommensten überbrückt, sie beseitigt ihn nicht,
aber sie läßt ihn vergessen. Die gestaltende
Kunst gibt uns das Gefühl der Freiheit, weil
sie unsern Willen, unser Sehnen rein und voll
aus dem Objekt wiederstrahlen läßt. Das Ich
fühlt sich bestätigt und erhoben gegenüber
dem Kunstwerk, und das um so stärker, je mehr
es sich damit eins fühlen kann.

Es gibt aber noch eine andere Art der Aus-
einandersetzung zwischen unserer Schönheits-
sehnsucht und der feindlichen Welt. Ihr fehlt
die Aktivität des Willens, der die Dinge be-
zwingt, der sie neugestaltet, wenn sie ihn nicht
befriedigen. Es ist die Schilderung. Die Sehn-
sucht baut sich da ein Abbild, ein Scheinbild
der Welt auf, gewissermaßen als eigene Schöp-
fung, und es ist dem Maler ein Leichtes, wenn

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