Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

DOI Artikel:
M.: Die Mittleren Werte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0358

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die mittleren Werte.

VEREINIGTE WIENER UND GMUNDNER KERAMIK G.M.B.H.

Dichters, des reinen Künstlers wäre eine solche
positive Wertung, die dem einförmigen und
wahrhaft langweiligen Entweder-Oder von Groß
und Minderwertig entgegenzuhalten wäre. Doch
dies nur nebenbei. Es fehlt uns jedenfalls die
Gabe, die künstlerische Leistung, besonders
die mindere, in ihrem inhärenten Wertgrade
bestimmt zu erfassen und all die subjektiven
Erschleichungen und Vergleichungen auszu-
schalten, die die Leistung um ihre Selbstgenüg-
samkeit betrügen.

Nochmals: es soll hier ganz gewiß keine
Lanze für die Minderwertigkeit gebrochen
werden. Sondern es wird hier gesprochen zu-
gunsten einer Bereicherung unserer ästhetischen
Wertskala, die ohne weiteres einer energ-
ischeren Ausnutzung unseres Vorrates an künst-
lerischen Kräften gleichkäme. Es ist klar, daß
eine solche Bereicherung nicht durch den Willens-
akt Einzelner, auch nicht auf Betreiben ganzer
Gruppen eintreten kann. Es ist dies vielmehr
eine Sache unserer gesamten Kulturgemein-
schaft. Es ist eine Sonderangelegenheit inner-

halb der klareren kulturellen Formwerdung
unseres Volkes, die unserer Erwartung nach
bevorsteht. Es sind keineswegs die Aufnehmen-
den (Kunstfreunde und Kritiker) allein, die in
diesen Dingen durch mangelnde Scheidung und
Vernachlässigung der Zwischenwerte sündigen.
Die Künstler selbst, je ernster sie ihre Sache
nehmen, neigen desto mehr zu einer wegwerfen-
den Verachtung alles Mittleren. Der Deutsche,
wie er auch in seinen Gebilden und Gesten
Weiträumigkeit über alles liebt, neigt an sich
in geistigen Dingen zu einer Art Verschwen-
dung. Er hat wenig Ökonomie in seinem gei-
stigen Haushalt, und der sich Einschränkende
begegnet seinem Mißtrauen. Das Wort „be-
scheiden" ist ihm in künstlerischen Angelegen-
heiten ein Schimpfwort. Aber was kann im
Ernste gegen eine Einschränkung eingewendet
werden, die da sagt: ich kenne alle großen
Ziele und ehre sie; aber ich bescheide mich für
meine Person bei dem, was mir zu erreichen
möglich ist? Wie ein Geist von tiefer Einsicht
in den Haushalt der Schöpfung und des Schaffens
die mittleren und sogar die minderen Werte zu
schätzen weiß, können wir aus Goethes Entwurf

VEREINIGTE WIENER UND GMUNDNER KERAMIK G. M. B. H.

348
 
Annotationen