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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 36.1915

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Jaumann, Anton: Architekt Carl Stahl-Urach, Berlin-Wilmersdorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.8676#0367

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ARCHITEKT CARL STAHL-URACH-BERLIN-WILMERSDORF.

Uber diesen Künstler kann die Feder nur
in tänzelndem Schritt berichten. Die sonst
knapp gehaltenen Sätze fangen an, zu schwellen,
sich zu runden und zu kräuseln. Es will blühen
und in Bildern sich entfalten. Wir werden,
kaum mehr widerstrebend, hineingezogen in
das Schlingen und Weben wohllautender For-
men. Weichheit und quellende Lust buhlen um
den Beifall der Sinne: „Bin ich nicht schön?"
„Bin ich nicht ein Schmuck der Welt?" singt
und girrt es aus jedem Stück — wer soll da
nüchtern sehn und mit der kalten Schneide des
Verstandes sezieren, was eine glückliche Hand
in reichen Stunden leicht und fast unbewußt
gestaltet hat? Ich mag in den sonoren Fluß der
Melodien nicht hineingreifen, um die Herkünfte
einzelner Wendungen aufzuzeigen. Selbst der
ganze eigenartige Künstlertyp, den Stahl vor-
stellt, sei hingenommen, wie er ist. Von unserm
grüblerischen Wesen, das so oft hemmend
zwischen Absicht und Gestaltung tritt, hat er

nicht eine Spur. In ihm drängt alles unmittel-
bar zur schönen Form, es ist ihm die Gabe
verliehen, jeglichem Gedanken den melodischen
Ausdruck zu finden. Da gibt es nicht die be-
rühmten Kämpfe zwischen Zweck und Form,
zwischen Inhalt und Ausdruck. Mit dem Ge-
danken gebiert sich in strahlender Schöne die
Gestalt. Eher fehlt es bei der überfließenden
Fülle von Gebilden an Zwecken, Bedürfnissen,
Inhalten, die nach Formulierung rufen.

Ich kann mir nicht denken, daß Stahl je um
eine Form verlegen wäre. Mag ihm das Leben
welche Aufgaben auch immer bringen, Geräte
seltenster Art, Gelegenheitsbauten von mär-
chenhafter Unwahrscheinlichkeit, stets hat seine
spielende Phantasie schon die Formen geschaut
gehabt, in die sich die neuen Zwecke mühelos
einfügen. Er gleicht dem Prediger, der für jeg-
lichen Fall der Trauer und der Freude, den das
unberechenbare Leben bringen mag, stets an-
gemessene, wohlgerundete Worte des Trostes,

XVIII. August 1915. 7

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