O. ZWINTSCHER f
Am Grabe Oskar
l \ Zwintschers, der
noch nicht sechsund-
vierzigjährig am 11.
Februar in Loschwitz
bei Dresden gestor-
ben ist, ist die Klage
laut, daß einem uns-
rer charaktervollsten
deutschen Maler die
Hand mitten im reif-
sten Schaffen erlahm-
te, neue, vielleicht
noch befreitere Voll-
endungen seines Wer-
kes versagt blieben.
— Oskar Zwintscher
war kein „moderner"
Maler, kein Führer
in neues Land. Aber
ein Führer in jenen
Bezirken der Kunst,
die nicht dem Wandel
des Zeitlichen unter-
worfen sind. In diesen
Zeiten des Neuwerdens ein treuer Siegelbe-
wahrer alten deutschen Besitzes. Wohl ein
Gerühmter, Bewunderter und Erfolgreicher,
den man aber doch abseits stehen ließ, wo er
stehen wollte. Und der noch als Meister oft
gerade dort Anerkennung nicht fand, wo er
sie verlangte. Einsam und verbittert schloß er
sich ab. Und diese Abschließung hat wohl die
Eigenwilligkeit seines Werkes gefördert, aber
doch drückend auf ihm gelastet.
Es gibt große Verehrer Oskar Zwintschers,
die in ihm nur den biederen deutschen Kunst-
Handwerksmeister sehen. Sie berufen sich auf
die beinahe pedantische Sachlichkeit, die Schärfe
des Details, in denen der völlig unsichtbar und
mit souveräner Meisterschaft geführte Pinsel
der Natur nachgeht. Sie alle, die seine Virtuo-
sität und seinen farbigen Geschmack rühmen,
sehen nicht die Magie in diesen Malereien.
Zwintscher ist gar nicht der Naturalist, der
er auf den ersten Blick scheint. Von Böcklin,
dem Romantiker, gingen seine ersten Land-
schaften aus und Romantiker ist er geblieben.
Er malte die sagenumwobene Romantik, wie
er sie im altertümlichen Meißen findet. Ro-
mantik, Sehnsucht und Träumerei, ist in seinen
von der Höhe gesehenen sächsischen Dörfern, in
den von nackten Gestalten belebten Sandstein-
felsen der sächsischen Schweiz, ist in seinen
Aktbildern, seinen kühl dekorativ arrangierten
BILDNIS OSKAR ZWINTSCHER t AUFNAHME: II. ER FURTH -DRESDEN
Bildnissen. Noch in
den ganz sachlich ge-
gebenen Herrenbild-
nissen, noch in den
Repräsentations-Bild-
nissen ist Romantik
im Ausdruck der Au-
gen, daß sie wie etwas
Fremdes in diesen
Gesichtern sind. Das
Stummsein der Natur
ist in ihnen, sie öff-
nen sich über regungs-
losem Schweigen, über
starrem Bann des
Traums. — In den
Frauen- und Kinder-
bildnissen ist Zwint-
schers Kunst zu ihrer
zartesten, reinsten und
bezauberndsten Voll-
endunggeführt. In sei-
nen Aktmalereien ist
die bis zurGrausamkeit
gesteigerte Sucht am
deutlichsten, der Na-
tur in ihren kleinsten
und verborgensten Zügen, die mit unerbittlicher
Schärfe gepackt werden, das Geheimnis ihrer
Schönheit abzuringen. Der fast schmerzende
Realismus, der diese wie mit der Lupe zu äußer-
ster optischer Nähe gebrachten Malereien trägt,
ist nur das Werkzeug, die Magie der Schönheit
zu fassen. Und die Blumen, kostbaren Stoffe,
Juwelen, Perlmutter und Glas sind darum mit
solcher Leidenschaf t gemalt, um den einen Strahl,
den einen Schimmer und Glanz inneren, über-
irdischen Lichts, das in ihnen brennt, zu bannen.
Zwintschers Palette hat den Sammet tief-
schwarzer Stiefmütterchen, das helle Grün der
Narzissenstengel, das Rot des Mundes, das
Email des Auges. Die Farbe ist nie als bloße
Farbe gegeben. Sie ist die Seele, das Leben
der Dinge. Die dunkle Farbigkeit seiner Bilder
ist voll von drängendem sinnlichen Leben. In
manchen ist diese Sinnlichkeit so stark, daß sie
gefährlich an die Grenzen der Malerei rührt.
Die Nachfolge Zwintschers ist so fraglich
wie seine künstlerische Genealogie. Er war
traurig darüber, daß er unter allen seinen
Schülern, denen er ein vorbildlicher Lehrer und
wirklicher Meister war, keinen eigentlichen
Schüler gefunden hat. So wird das Werk
Oskar Zwintschers, das würdig zu bewahren,
Ehrenpflicht der Nation ist, aus sich heraus
weiter wirken müssen, um sein Geheimnis
fortzuzeugen. — ai.fred Günther—Dresden.
Am Grabe Oskar
l \ Zwintschers, der
noch nicht sechsund-
vierzigjährig am 11.
Februar in Loschwitz
bei Dresden gestor-
ben ist, ist die Klage
laut, daß einem uns-
rer charaktervollsten
deutschen Maler die
Hand mitten im reif-
sten Schaffen erlahm-
te, neue, vielleicht
noch befreitere Voll-
endungen seines Wer-
kes versagt blieben.
— Oskar Zwintscher
war kein „moderner"
Maler, kein Führer
in neues Land. Aber
ein Führer in jenen
Bezirken der Kunst,
die nicht dem Wandel
des Zeitlichen unter-
worfen sind. In diesen
Zeiten des Neuwerdens ein treuer Siegelbe-
wahrer alten deutschen Besitzes. Wohl ein
Gerühmter, Bewunderter und Erfolgreicher,
den man aber doch abseits stehen ließ, wo er
stehen wollte. Und der noch als Meister oft
gerade dort Anerkennung nicht fand, wo er
sie verlangte. Einsam und verbittert schloß er
sich ab. Und diese Abschließung hat wohl die
Eigenwilligkeit seines Werkes gefördert, aber
doch drückend auf ihm gelastet.
Es gibt große Verehrer Oskar Zwintschers,
die in ihm nur den biederen deutschen Kunst-
Handwerksmeister sehen. Sie berufen sich auf
die beinahe pedantische Sachlichkeit, die Schärfe
des Details, in denen der völlig unsichtbar und
mit souveräner Meisterschaft geführte Pinsel
der Natur nachgeht. Sie alle, die seine Virtuo-
sität und seinen farbigen Geschmack rühmen,
sehen nicht die Magie in diesen Malereien.
Zwintscher ist gar nicht der Naturalist, der
er auf den ersten Blick scheint. Von Böcklin,
dem Romantiker, gingen seine ersten Land-
schaften aus und Romantiker ist er geblieben.
Er malte die sagenumwobene Romantik, wie
er sie im altertümlichen Meißen findet. Ro-
mantik, Sehnsucht und Träumerei, ist in seinen
von der Höhe gesehenen sächsischen Dörfern, in
den von nackten Gestalten belebten Sandstein-
felsen der sächsischen Schweiz, ist in seinen
Aktbildern, seinen kühl dekorativ arrangierten
BILDNIS OSKAR ZWINTSCHER t AUFNAHME: II. ER FURTH -DRESDEN
Bildnissen. Noch in
den ganz sachlich ge-
gebenen Herrenbild-
nissen, noch in den
Repräsentations-Bild-
nissen ist Romantik
im Ausdruck der Au-
gen, daß sie wie etwas
Fremdes in diesen
Gesichtern sind. Das
Stummsein der Natur
ist in ihnen, sie öff-
nen sich über regungs-
losem Schweigen, über
starrem Bann des
Traums. — In den
Frauen- und Kinder-
bildnissen ist Zwint-
schers Kunst zu ihrer
zartesten, reinsten und
bezauberndsten Voll-
endunggeführt. In sei-
nen Aktmalereien ist
die bis zurGrausamkeit
gesteigerte Sucht am
deutlichsten, der Na-
tur in ihren kleinsten
und verborgensten Zügen, die mit unerbittlicher
Schärfe gepackt werden, das Geheimnis ihrer
Schönheit abzuringen. Der fast schmerzende
Realismus, der diese wie mit der Lupe zu äußer-
ster optischer Nähe gebrachten Malereien trägt,
ist nur das Werkzeug, die Magie der Schönheit
zu fassen. Und die Blumen, kostbaren Stoffe,
Juwelen, Perlmutter und Glas sind darum mit
solcher Leidenschaf t gemalt, um den einen Strahl,
den einen Schimmer und Glanz inneren, über-
irdischen Lichts, das in ihnen brennt, zu bannen.
Zwintschers Palette hat den Sammet tief-
schwarzer Stiefmütterchen, das helle Grün der
Narzissenstengel, das Rot des Mundes, das
Email des Auges. Die Farbe ist nie als bloße
Farbe gegeben. Sie ist die Seele, das Leben
der Dinge. Die dunkle Farbigkeit seiner Bilder
ist voll von drängendem sinnlichen Leben. In
manchen ist diese Sinnlichkeit so stark, daß sie
gefährlich an die Grenzen der Malerei rührt.
Die Nachfolge Zwintschers ist so fraglich
wie seine künstlerische Genealogie. Er war
traurig darüber, daß er unter allen seinen
Schülern, denen er ein vorbildlicher Lehrer und
wirklicher Meister war, keinen eigentlichen
Schüler gefunden hat. So wird das Werk
Oskar Zwintschers, das würdig zu bewahren,
Ehrenpflicht der Nation ist, aus sich heraus
weiter wirken müssen, um sein Geheimnis
fortzuzeugen. — ai.fred Günther—Dresden.