PROFESSOR JOSEF HOFFMANN-WIEN.
»KINDERLAUUE IM ERSTEN STOCKc
DAS AUGE DES MALERS.
(FORTSETZUNG.)
Der subjektive Akt der Einstellung kann
aber allmählich zur Gewöhnung, zu einem
Zwang werden, der keine Wahl einer andern
malerischen Einstellung mehr läßt.
Diese malerische Einstellung hervorzurufen
und immer mehr einzuüben, ist eine wichtigste
Aufgabe in der Ausbildung des Malers. Schon
der schulmäßige Zeichenunterricht dient dazu,
die formale Auffassung zu fördern; es folgt
die Entwicklung des Farbensellens, das auch
im wesentlichen eine Einstellung ist, eine Ein-
stellung auf die farbige Seite der Erscheinung.
Das Auge sieht mehr Farbe, sieht sie genauer,
sieht all die zahlreichen Abtönungen und Zu-
sammensetzungen und das gegenseitige Ver-
hältnis der Farben. Immerhin ist diese Art des
Sehens vom Lesen der Zeitung noch nicht so
sehr verschieden. Es handelt sich da immer
noch um ein möglichst genaues Sehen, um ein
Ablesen aller Eigentümlichkeiten der Farben
und Formen. Die eigentliche malerische Ein-
stellung tritt erst auf, wenn vom Punktsehen
zum Bildsehen fortgeschritten wird. Und so-
viele Arten des Sehens, der malerischen Welt-
anschauung oder Bildauffassung es gibt, so
mannigfaltig sind auch die Möglichkeiten für
die malerische Einstellung des Auges. Der Laie
betrachtet einen Gegenstand, indem sein Blick
von Punkt zu Punkt fortschreitet. Der Maler
stellt entweder das Auge auf Unendlich ein,
übersieht also den gesamten Gegenstand auf
einmal, wenn auch die Einzelheiten weniger
scharf erscheinen. Oder der Blick bleibt auf
einem zentralen Punkt haften, das Bewußtsein
faßt aber auch die peripherisch gelegenen
Punkte mit auf, die sonst zwar mitgesehen, aber
nicht beachtet werden; die peripherischen
Punkte erscheinen natürlich ebenfalls desto un-
schärfer, je weiter sie sich vom Mittelpunkt
entfernen. Die zu äußerst gelegenen Stellen
geben bekanntlich nur ganz unbestimmte Licht-
und Schattenflecken. Diese zwei Arten der
»KINDERLAUUE IM ERSTEN STOCKc
DAS AUGE DES MALERS.
(FORTSETZUNG.)
Der subjektive Akt der Einstellung kann
aber allmählich zur Gewöhnung, zu einem
Zwang werden, der keine Wahl einer andern
malerischen Einstellung mehr läßt.
Diese malerische Einstellung hervorzurufen
und immer mehr einzuüben, ist eine wichtigste
Aufgabe in der Ausbildung des Malers. Schon
der schulmäßige Zeichenunterricht dient dazu,
die formale Auffassung zu fördern; es folgt
die Entwicklung des Farbensellens, das auch
im wesentlichen eine Einstellung ist, eine Ein-
stellung auf die farbige Seite der Erscheinung.
Das Auge sieht mehr Farbe, sieht sie genauer,
sieht all die zahlreichen Abtönungen und Zu-
sammensetzungen und das gegenseitige Ver-
hältnis der Farben. Immerhin ist diese Art des
Sehens vom Lesen der Zeitung noch nicht so
sehr verschieden. Es handelt sich da immer
noch um ein möglichst genaues Sehen, um ein
Ablesen aller Eigentümlichkeiten der Farben
und Formen. Die eigentliche malerische Ein-
stellung tritt erst auf, wenn vom Punktsehen
zum Bildsehen fortgeschritten wird. Und so-
viele Arten des Sehens, der malerischen Welt-
anschauung oder Bildauffassung es gibt, so
mannigfaltig sind auch die Möglichkeiten für
die malerische Einstellung des Auges. Der Laie
betrachtet einen Gegenstand, indem sein Blick
von Punkt zu Punkt fortschreitet. Der Maler
stellt entweder das Auge auf Unendlich ein,
übersieht also den gesamten Gegenstand auf
einmal, wenn auch die Einzelheiten weniger
scharf erscheinen. Oder der Blick bleibt auf
einem zentralen Punkt haften, das Bewußtsein
faßt aber auch die peripherisch gelegenen
Punkte mit auf, die sonst zwar mitgesehen, aber
nicht beachtet werden; die peripherischen
Punkte erscheinen natürlich ebenfalls desto un-
schärfer, je weiter sie sich vom Mittelpunkt
entfernen. Die zu äußerst gelegenen Stellen
geben bekanntlich nur ganz unbestimmte Licht-
und Schattenflecken. Diese zwei Arten der