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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Lübecke, F.: Zum 70. Geburtstag Wilhelm Steinhausens
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Zum jo. Geburtstag Wilhelm Steinhausens.

I'ROKKSSOR XV. STKI.NHAt'SKN - l'KA N K FURT.

GEMÄLDE »BLICK INS EHRENBACHTAL« (1918).

Kunst in der Natur; wer sie heraus kann reißen,
der hat sie: so ist auch er ein wahrer Künstler.
In der Verwechslung des Stoffes, dem er treu
blieb, mit dem von ihm daraus Geschaffenen
liegt der verhängnisvolle Denkfehler in der
Verurteilung seiner Kunst. Dieser religiöse
Stoff, wie er noch heute von protestantischen
Kanzeln in der Überzahl geboten wird, ist ein
künstlerisch dürres Land. Steinhausen hat es
trotzdem geliebt und hat es mit der gleichen
künstlerischen Ehrlichkeit dargestellt, wie ein
Trübner eine Hausecke abmalt. So wird er
allen denen (und es brauchen wahrlich keine
Banausen zu sein) auch künstlerisch genügen,
denen dieser religiöse Stoff noch reizvoll, wo-
möglich gar zukunftsfähig erscheint. Sie um-
fassen seine Persönlichkeit intuitiver als alle
diejenigen, die zwar ihn als Künstler religiöser
Stoffe wegen der von ihm stets festgehaltenen
traditionellen Ausprägung ablehnen, ihn aber
als Maler der Landschaft und Umwelt gern
gelten lassen, ja ihn preisen. Steinhausens Werk
läßt sich nicht spalten. Wer seine religiöse
Kunst nicht versteht, wird im letzten auch seine
übrige nicht voll empfinden. In einer merk-

würdigen Inkonsequenz sind sich aber fast alle
darüber einig, daß er als Landschafter ein
großes Empfindungsgebiet uns erschlossen habe.
Es lag auch in dem Bezirke seiner Geburt,
seiner Erziehung. Die ihm eigentümliche Land-
schaftsbetrachtung lyrischen Grundtones ist
ein wesentliches Stück Protestantismus, nicht
des streitbaren, das Gefühlsleben geringachten-
den Theologentumes, sondern des stillen Pietis-
mus eines Paul Gerhard, Franke, Spener,
Mathias Claudius. In wie mancher Steinhausen-
landschaft klingen nicht Gerhards unsterbliche
Verse: Nun ruhen alle Wälder, oder ein Lied
des Wandsbecker Boten. In diesem ergebungs-
vollen Lyrismus, der so weit von der blutvollen
Sinnenwelt der mittelalterlichen Heiligen- und
Marienhymnen entfernt ist wie ein Bild Stein-
hausens von einem Bilde Grünewalds, fanden
besonders die protestantischen Frauen von jeher
ein Gegengewicht zu den ständigen Predigten
über die Erbsünde und die Gerechtigkeit durch
den Glauben, Gebiete, die heute noch von
vielen von ihnen fast wie ein Arcanum geist-
licher Hochgelahrtheit angestaunt werden.
Steinhausens Mutter, die so tüchtig und zäh
 
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