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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Jaumann, Anton: Das Auge des Malers, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0231

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Das Auge des Malers.

Blickeinstellung, die immernoch physiologischer
Natur sind, bewirken aber doch schon eine
bildmäßige Zusammenfassung des Gesehenen,
ein Sehen in großen Flecken und Formen.
Sollen nun aber ausschließlich Farben, Farben-
massen, Farbenverhältnisse, Licht- und Schat-
tenmassen, sowie die Abstufungen von Farbe
und Licht malerisch aufgefaßt werden, so er-
fordert das einen Akt, der nicht mehr rein
physiologischer Natur ist. Die Apperzeption,
die seelische Auffassung ist dann in besonderer
Weise einzustellen, so, daß eben nur eine be-
stimmte Seite der Erscheinung beachtet, ein
großer Teil aber des von den Sinnen gelieferten
Rohmaterials von dem seelischen Aufnahme-
apparat ausgeschaltet, beiseitegelassen wird.
Ein großzügiger Akt der Abstraktion wird hier-
mit auf dem Wege vom Auge zur Seele voll-
zogen, eine Abstraktion, die aber in diesem
Fall nicht blaß und blutleer macht, sondern
farbig, hell, sinnlich lebendig und eindrucks-
kräftig. Vom abstrahierenden Sehen, das
nur Farbflecken, Licht- und Schattenpartien
■wahrnimmt, ist aber nur ein Schritt zum An-
ders-Sehen, ein allerdings sehr bedeutsamer

Schritt. Indem mit Hilfe einer willkürlichen
Einstellung des sinnlich-seelischen Aufnahme-
apparates gewisse Seiten und Eigentümlich-
keiten der optischen Erscheinung nicht gesehen,
übersehen, andere ausschließlich gesehen wer-
den, ändert sich das Bild der Außenwelt in
unserer Auffassung mehr und mehr. Der Baum
wird zum Farbenklex. Die unregelmäßige Linie
erscheint als große Kurve. Dieselbe Linie ist
aber, bei anderer subjektiver Einstellung, ein
System kleiner Geraden. Der eine Maler sieht
denn auch den menschlichen Körper mit ein-
fachen Kurven begrenzt, der andere sieht an
der gleichen Stelle ausschließlich vielfältig ge-
brochene gerade Linien. Jeder Maler sieht
anders, keiner sieht objektiv richtig, trotzdem
ihre Augen feinstgeübte optische Instrumente
sind. Wie soll man dieses merkwürdige Phä-
nomen einschätzen? Liegt hier eine Fälschung
vor, oder nur Täuschung? In unserer Beur-
teilung können wir da nicht vorsichtig genug
sein, sind doch auch die Augen des Laien oder
des wissenschaftlichen Beobachters mancher
Fopperei der unberechenbaren Natur unter-
worfen. - (Schluß folgt.) .... ANTON JAUMANN.
 
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