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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Heckel, Karl: Mensch und Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0249

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Mensch und Künstler.

MAX FELDBAUER—MITTERNDORF.

»GMUNDERIN« AM TEGERNSEE (1908).

diert. Man hat Bismarck als Schöpfer des
deutschen Reiches einen Künstler genannt;
denn man hat erkannt, daß hier eben etwas
weit tieferes und höheres als die bloße diplo-
matische Geschicklichkeit sich in die Tat, oder
sagen wir gleich, in das Werk umsetzte. So
fern es uns lag, aus seiner politischen Größe
auf eine Befähigung als Künstler in gewohntem
Sinne zu schließen, so nah lag doch die Er-
kenntnis, daß der schöpferische Wille, dem sein
geniales Wirken entsprang, sich nur mit dem
Trieb des Künstlers identifizieren läßt.

Und umgekehrt wird man immer wieder aus
wahrhafter Größe eines Kunstwerks auf sitt-
liche Größe b ei seinem Autor schließen und sich
verwundern, wenn dessen Lebensführung dieser
Ubereinstimmung zu widersprechen scheint.

Wem haben wir in diesem Fall mehr zu ver-
trauen, dem Werk, das rein und offen vor un-
seren Sinnen liegt, oder dem Leben, in dem sich
Wesen und Zufälligkeit so schwer trennbar
mischt und verwischt? „Den Autor erkennt

man viel deutlicher aus der Schrift als aus dem
Leben" hat Goethe einmal gesagt und damit
die Antwort vorweg gegeben. Immer werden
wir leichter bei der Interpretation eines Werkes
zu einer Übereinstimmung gelangen, als bei der
Interpretation eines Lebenslaufes oder gar einer
einzelnen Handlung. Wie selten treten die
Motive einer Handlung deutlich vor das Be-
wußtsein. Was für denselben Fall dem Einen
als moralische Schwäche erscheint, mag dem
Andern als ethische Kraft gelten.

Ich führe dieses Beispiel an, um auf die
außerordentliche Schwierigkeit bei der mora-
lischen Wertung von Handlungen zu verweisen.
Diese Schwierigkeit legt uns die Pflicht größter
Vorsicht im Urteil auf. Sie erfährt gegenüber
dem Künstler noch eine besondere Erhöhung,
sobald wir uns sagen, daß die Leidenschaft des
Temperaments eine wesentliche Voraussetzung
der schöpferischen Tätigkeit bedeutet, und daß
es nicht angeht, Temperamentlosigkeit zur Tu-
gend zu stempeln. Aber auch wenn wir, frei
 
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