Die Idee des Schöpferischen.
Ichs, die prätendierte Frei-
heit unseres Wollens mit
dem notwendigen Gang
des Ganzen zusammen-
trifft". Wie weit der Spiel-
raum ist, in dem sich die
beiden Faktoren gültig
schneiden können, wie
wenig die Individualität
des Künstlers durch diese
formende Bewegung zur
absoluten Notwendigkeit
gehemmt wird, mögen zwei
Gestaltungen zeigen, die
von zwei verschiedenen
Künstlern aus einer Ma-
terie gezogen sind.
HERBSTGEFÜHL.
Fetter grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf!
Gedrängter quellet
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller und glänzend voller!
Euch brüht der Mutter Sonne
Scheideblick, euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle,
Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,
Und euch betauen, ach!
Aus diesen Augen
Der ewig belebenden Liebe
Vollschwellende Tränen.
(Goethe.)
HERBSTTAG.
Dies ist ein Herbsttag, wie
ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete
man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd,
fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von
jedem Baum.
0 stört sie nicht, die Feier
der Natur!
Dies ist die Lese, die sie
selber hält,
Denn heute löst sich von den
Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl
der Sonne fällt.
(Hebbel.)
Das Total der mensch-
lichen Vermögen ins Spiel
gesetzt mit Vorstellungen,
die ihrerseits in Beziehung
O. COESTER-MUNCHEN. GEMÄLDE »GÄRTNERIN«
auf das Ganze der Welt-
idee erfaßt sind, das ist
das Fundament, die schöp-
ferische Stimmung, aus der
eine gesetzmäßig geord-
nete Vorstellungsmasse,
ein in sich notwendiges
Werk zur Erscheinung
kommen kann. Nicht zu-
fälliges Assoziieren kann
mehr in diese Welt hinein-
spielen, ohne die errun-
gene Notwendigkeit der
Vorstellungsmaterie zu tö-
ten, ehe sie Form und Le-
ben gewonnen hat. Viel-
mehr ist es der „sich selbst
setzende Konflikt", wel-
cher aus den immer in le-
bendiger Bewegung zu
denkenden Vorstellungen
entspringt, der sie zu einem
einheitlichen und organi-
schen Ganzen ordnet, in-
adäquates ausscheidet,
Übergänge schafft und so
ein aus sich selbst leben-
des, in sich selbst beruhen-
des, sich selbst genügsames
Gebilde setzt. Wilhelm
von Scholz, der den „sich
selbst setzenden Konflikt"
in seiner kleinen Schrift
„Kunst und Notwendig-
keit" analysiert und in
seiner Bedeutung betont
hat, sagt auch einmal, alles
Produzieren bestehe darin,
daß es einen Keim zum
Organismus auswachsen
lasse. — Dieser Organis-
mus entsteht aus der schöp-
ferischen Stimmung bereits
unter einer ganz bestimm-
ten Form. Er wird nicht
an beliebigen Mitteln zur
Darstellung gebracht, diese
bedingen vielmehr in ihrem
ganz eigentümlichen We-
sen den produktiven Akt
mit. Die künstlerische Er-
scheinung ist die in Gestalt
gewachsene Idee, nicht
ihre Illustration. Die Dar-
stellung ist nicht gewollte
Folge sondern natürliche
Vollendung des schöpfe-
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Ichs, die prätendierte Frei-
heit unseres Wollens mit
dem notwendigen Gang
des Ganzen zusammen-
trifft". Wie weit der Spiel-
raum ist, in dem sich die
beiden Faktoren gültig
schneiden können, wie
wenig die Individualität
des Künstlers durch diese
formende Bewegung zur
absoluten Notwendigkeit
gehemmt wird, mögen zwei
Gestaltungen zeigen, die
von zwei verschiedenen
Künstlern aus einer Ma-
terie gezogen sind.
HERBSTGEFÜHL.
Fetter grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf!
Gedrängter quellet
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller und glänzend voller!
Euch brüht der Mutter Sonne
Scheideblick, euch umsäuselt
Des holden Himmels
Fruchtende Fülle,
Euch kühlet des Mondes
Freundlicher Zauberhauch,
Und euch betauen, ach!
Aus diesen Augen
Der ewig belebenden Liebe
Vollschwellende Tränen.
(Goethe.)
HERBSTTAG.
Dies ist ein Herbsttag, wie
ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete
man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd,
fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von
jedem Baum.
0 stört sie nicht, die Feier
der Natur!
Dies ist die Lese, die sie
selber hält,
Denn heute löst sich von den
Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl
der Sonne fällt.
(Hebbel.)
Das Total der mensch-
lichen Vermögen ins Spiel
gesetzt mit Vorstellungen,
die ihrerseits in Beziehung
O. COESTER-MUNCHEN. GEMÄLDE »GÄRTNERIN«
auf das Ganze der Welt-
idee erfaßt sind, das ist
das Fundament, die schöp-
ferische Stimmung, aus der
eine gesetzmäßig geord-
nete Vorstellungsmasse,
ein in sich notwendiges
Werk zur Erscheinung
kommen kann. Nicht zu-
fälliges Assoziieren kann
mehr in diese Welt hinein-
spielen, ohne die errun-
gene Notwendigkeit der
Vorstellungsmaterie zu tö-
ten, ehe sie Form und Le-
ben gewonnen hat. Viel-
mehr ist es der „sich selbst
setzende Konflikt", wel-
cher aus den immer in le-
bendiger Bewegung zu
denkenden Vorstellungen
entspringt, der sie zu einem
einheitlichen und organi-
schen Ganzen ordnet, in-
adäquates ausscheidet,
Übergänge schafft und so
ein aus sich selbst leben-
des, in sich selbst beruhen-
des, sich selbst genügsames
Gebilde setzt. Wilhelm
von Scholz, der den „sich
selbst setzenden Konflikt"
in seiner kleinen Schrift
„Kunst und Notwendig-
keit" analysiert und in
seiner Bedeutung betont
hat, sagt auch einmal, alles
Produzieren bestehe darin,
daß es einen Keim zum
Organismus auswachsen
lasse. — Dieser Organis-
mus entsteht aus der schöp-
ferischen Stimmung bereits
unter einer ganz bestimm-
ten Form. Er wird nicht
an beliebigen Mitteln zur
Darstellung gebracht, diese
bedingen vielmehr in ihrem
ganz eigentümlichen We-
sen den produktiven Akt
mit. Die künstlerische Er-
scheinung ist die in Gestalt
gewachsene Idee, nicht
ihre Illustration. Die Dar-
stellung ist nicht gewollte
Folge sondern natürliche
Vollendung des schöpfe-
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