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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Raphael, Max: Die Idee des Schöpferischen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0330

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Die Idee des Schöpferischen.

FRANZ MARC t MÜNCHEN. GEMÄLDE »HUND, FUCHS, KATZE« VERLAG R. PIPER & CO.-MÜNCHEN. NEUE SECESSION.

um ein Bedeutendes höher steht..." (Goethe zu
Eckermann). In der Tat: alles wahre ethische
Wesen wurzelt in dem Gesetz, das sich die
menschliche Freiheit setzt, indem sie die indivi-
duelle Persönlichkeit in der Verwirklichung der
Idee, die sie sich selbst gesetzt hat, aus ihrer
totalen Wurzel zum wirkenden Dasein entwik-
kelt. Alle Moralgebote gleichen dem gegenüber
jenen Atelierrezepten, mit denen der organisch
lebende Mensch so wenig und so viel anfangen
kann wie der Künstler mit prästabilierten
Kunstgesetzen. — Von allen Beziehungen des
handelnden Menschen interessiert uns heute
keine so sehr als die zum Staat; von dem Ver-
hältnis des schöpferischen Menschen zum Staat
soll später ausführlich gehandelt werden. —
Hier soll nur noch gesagt werden, daß das
schöpferische Gesetz auch das religiöse Emp-
finden bedingt. Jedes ausgebaute Religions-
system wird natürlich alle Phasen des schöpfe-
rischen Weltprozesses zu deuten versuchen, aber
doch immer je nach seiner Grundrichtung auf
eine Etappe besonders Nachdruck legen. In
der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen beharrt
der reine Polytheismus; der Weg zur Einheit
der Idee wird im mystischen Ringen zur An-

schauung gebracht. Der reine Monotheismus
ist der Ausdruck der Idee, während die Drei-
faltigkeit des Christentums das Mysterium um-
schreibt, wie die Idee zur Erscheinung strebt.
Diese als volle Verkörperung der Idee — das
bedeutet der griechische Polytheismus. Ob wir
uns die Welt als die Schöpfung Gottes oder
Gott als die Schöpfung der Menschheit denken,
immer bleibt alles Geschehen an die Gesetz-
mäßigkeit des schöpferischen Triebes gebunden,
die das Letzte darstellt, was wir Menschen
nach dem Ausspruch unserer Weisesten er-
reichen können:

„Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
als dag sich Gottnatur ihm offenbare,
wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen,
wie sie das Geisterzeugte fest bewahre."

(Goethe: Bei Betrachtung von Schülers Schädel).
Z. ZT. LÖRRACH. MAX RAPHAEL.

£

Das Spiel des Künstlers, so sehr dem Traumleben
verwandt, scheint uns einen Blick zu eröffnen in
die geheimnisvollen Tiefen, in denen unser Dasein
wurzelt. Wir ahnen vor den Werken der Kunst, daß
hinter dem heiteren Kinderspiel ein tiefer Ernst steckt
— und daß das, was Willkür schien, aus folgerichtiger
Notwendigkeit hervorgeht........ Hans Thoma.
 
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