Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

DOI Artikel:
Schürer, Oskar: Charlotte Radnitz-Schroetter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0034

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Charlotte Radnitz-Schroettcr

24

CH. RADNIT7.-SCHROETTER

Nochmal von diesem Entstehungsprozeß des
Bildes — und diesmal ganz grob tatsächlich. Ein
Auge, das im Sehen schon zu gestalten versteht,
trifft irgendwo auf ein Motiv, das ihm Eindruck
macht. Irgend ein Zufallsmotiv: ein Wagen auf
der Straße, ein paar Blumen im Fenster, ein
Junge, der sich am Wasser räkelt, ein Schiff
am Hafen oder ein Kind. Das Motiv prägt sich
ein, wandert mit. Das innere Auge vergißt es
nicht, denn irgend etwas hatte aufgeklungen,
als es zum erstenmal plötzlich da stand. Es ar-
beitet sich tiefer, nimmt aus der Phantasie Wahl-
verwandtes entgegen, weitet sich, bildet sich
selbständig aus, zieht noch anderes an, was es
zum Ganzen schließt — und plötzlich, vielleicht
lange Zeit erst nach dem ersten äußeren Auf-
tauchen draußen, quillt er hervor, nun ganz
inneres Bild geworden. Ja, solche Begegnungen
von Motiv und Phantasie machen viel vom Ge-
heimnis allen Kunstwerks aus.

Ist es nicht so bei diesen Bildern der jungen
Prager Malerin Charlotte Radnitz-Schroetter!
Figuren, Landschaften, Szenen, Blumen — voller
Natürlichkeit alles und doch phantastisch gelok-
kert, versonnen — eingeschlürft von einem

»DIE WARTENDEN MÄDCHEN«

Leben, das dem plumpen Draußen fern ist. Das
sich zurücksehnt in seinen Ursprung: in die
warme Fülle eines Traums, dem nur manchmal
draußen Gegenbilder leuchten. Das sind er-
lauschte Szenen, die von lauter innerem Zufall
klingen. Wie sie aber allmählich vor unseren
Augen einschmilzen in ihr phantastisches Bei-
sammen, überzeugen sie plötzlich von einer So-
Notwendigkeit, ganz wie Träume von solcher
Notwendigkeit überzeugen. Alles ist aufgesogen
von innerer Atmosphäre im stillen Leben einer
geruhsamen Welt. Ein heimliches Fragen und
Drängen schwingt in die bloße Schilderung ein,
ein Ton der Angst und ein Klang des Trostes, bis
letzten Endes doch mehr uns anblickt als reines
So-Sein, bis alles Wirkliche transponiert er-
scheint, hindurchgegangen durch dämmernde
Traumbezirke zum lächelnden Erwachen im Bild.

Die Koloristik ist ganz aus diesem Trans-
positionsprozeß geboren. Locker, flüssig, leis
anwehend und wieder verwölkend, alles Helle
schattierend, untergründend durch ein tristes
Schwarz, ein schütterndes Leben innerhalb der
Farbintervalle wie Märzabende beim ersten
Laternenschein.......

DR OSKAR SCHURER.
 
Annotationen