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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Fischer, Eugen Kurt: O. Th. W. Stein, Chemnitz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0042

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0. Th. W. Stein-Chemnitz

gestaltung völlig ausschalten. Stein entwickelt
sich ohne Seitensprünge, ohne irgend welche
gewagten Experimente in einer ihm fremden
Sprache auf eine Kunstform zu, die reinster
Ausdruck seiner Persönlichkeit sein soll, so
wie sie ist, niemals aber deren Verneinung durch
Übersteigerung in eine ihrem Schöpfer innerlich
fremde Naturnähe, Gegenständlichkeit oder
Pathetik. So geschieht es, daß Kunstwerke
entstehen, die in keinen Schulzusammenhang
einbezogen werden können und dennoch un-
glaublich gegenwärtig wirken.

Sieht man zum erstenmal eine größere An-
zahl Bilder von Stein, so ist man überrascht
über die scheinbar geringe Farbigkeit dieser
in leisem Grau g'eichsam verschwebenden
Kunstwerke. Hat man sich aber erst einmal
mit einem einzelnen Bild eingehenderbeschäftigt,
so kommt man dem Geheimnis Steins auf die
Spur: es ist die Steigerung ins Pianissimo,
die er gewagt hat zu einem Zeitpunkt, da die
allermeisten Maler zum Fortissimo drängen
und immer neue Mittel erfinden, die Leucht-
kraft der rein en un vermischten Farbe zu steigern.
Bei Stein gibt es keinen toten Fleck auf der
Bildfläche. Jeder Quadratzentimeter birgt eine
Fülle wogenden Lebens. Aus den grauen,
wehenden Farbschleiern blitzen zartgrüne, vio-
lette, rosafarbene und rote Töne auf. Ein
Mädchenbild [Profil mit Hui) ist farblich folgen-
dermaßen aufgebaut: die Basis stellt das Rot
des Kleides dar, dazu das Grün des Hinter-
grundes und das Gelb des Hutes. Die Licht-
führung bedient sich der gedämpften Töne der
Dämmerung. Nirgends ist die Farbe zur materiell
greifbaren Fläche ausgebreitet, Rot, Grün und
Gelb blühen nur an einzelnen, winzig bemessenen
Stellen deutlich auf, sie sind so gegeneinander
abgewogen und in einander geführt, daß die
Farbe wie ein ständig Schwebendes im Bilde
erscheint, unaufhörliche leise Bewegung im
ruhigen Ganzen, das ohne sichtbaren Kontur
doch in sehr kultiviertem Umriß die Mädchen-
gestalt einfängt. Stein erzielt das Ineinander-
fluten der Töne durch äußerst differenzierte
Abstufung der einzelnen Grundfarben, die auf
solche Weise zum wesensverwandten Verhältnis
gebracht werden. So verblaßt das Rot des
Kleides im lichten Teil des Fleisches, das Grün
des Hintergrunds in den dunkleren Partien des
Gesichts. Zwischen beiden webt auch noch
das Gelb des Hutes durch. Umgekehrt sind die
Töne des Gesichts, des Hutes und Gewandes
stets auch im Hintergrund vorhanden.......

Es gibt eine Reihe von Frauenporträts Steins,
in denen der Zauber der Persönlichkeit ein-
gefangen ist in das zarte Durcheinanderschweben
der Farbtöne und in den wunderbar geschlos-
senen Aufbau der in ruhiger, oftmals repräsen-
tativer Haltung gegebenen Gestalt. Merkwürdig
sind einige Frauenakte, deren Inkarnat die Fülle
des Lebens mehr ahnen läßt als in brutaler
Gegenständlichkeit vermittelt. Je blühender
und reicher das Leben ist, das sich Stein zum
Gegenständder Übertragung insBildwerk nimmt,
desto sublimierter ist seine Pinselkunst, die
immer nur Ahnung und Traum von den Dingen
geben will, ihre innere Musikalität und das
Zeichen ihrer äußeren Schönheit.

Bisweilen ist Stein überkultiviert und man
bangt um das Schicksal mancher seiner Bilder,
die einmal „salonreif" im schlimmen Sinne des
Wortes werden könnten, weil ein naheliegendes
Mißverständnis sie einbeziehen könnte in die
parfümierte Welt eines müden Lebensraffine-
ments. Wer aber glaubt, in diesen zarten Ge-
bilden Erzeugnisse einer überfeinerten Sinnlich-
keit erblicken zu dürfen, den wird das wunder-
volle Stilleben 1926, in dem die großen Fran-
zosen des späten Impressionismus erreicht und,
was die Vergeistigung angeht, fast noch über-
boten sind, eines anderen belehren, vollends
aber jene wundervolle Reihe von Landschaften,
in denen die Atmosphäre nicht mehr nur äußer-
lich als ein Lichtphänomen, sondern vergeistigt,
als Ausdruck einer seelischen Grundhaltung
gleichsam dargestellt ist. Wer die Welt der
Kurischen Nehrung aus den Bildern Max Pech-
steins kennt, der ist aufs höchste überrascht
von der völlig anderen Ausdeutung dieser Land-
schaft durch O. Th. W. Slein. Er gibt nicht die
klare Luft, den starken Farbton in flächenhafter
Ausbreitung, sondern das silbrige Leuchten, das
leise Klingen, das Geheimnis des Unerschlosse-
nen, als ob er ein Stück Welt im ersten Wer-
den darzustellen hätte. Aus Silbernebeln löst
sich erst die stille, nur leis bewegte Form der
Gestade und Fischer und Boot tauchen nur eben
als zarte Vision aus dem Nebeldämmer auf.

Man darf es sagen: das Werk dieses Malers
ist in eminentem Sinne ein persönliches. Das
Weib und ich, das Meer und ich, die Blume
und ich, das könnte unter seinen Bildern stehen,
die ausgesprochen lyrischen Charakter tragen
und nichts geben von der festen Welt der Meß-
barkeiten, aber alles Geheimnis der seelischen
Bezirke dämmerhaft aufleuchten lassen, die'
hinter den Dingen liegen.

E. KURT FISCHER.
 
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