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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Hausenstein, Wilhelm: Wandlungen der Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0247

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ANTON FAISTAT'ER—WIEN

GEMÄLDE »DAMENBILDNIS«

WANDLUNGEN DER KRITIK

VON DR. WILH. HAUSENSTEIN

Tn ihrem bewußten Beginn fordert die Kritik
X vom Bilde die vollkommene Illusion; das Bild
soll täuschen; um dieses Zieles willen fordert
und lobt die Zeit des Vasari zum Beispiel die
Künste der Perspektive — sie geben die Illu-
sion des Raums, sie bedingen den Vorzug des
Stereoskopischen.

Ein Stück dieser Ästhetik verbleibt der Kritik
auch im 17. und 18., ja noch im 19. Jahrhun-
dert. Aber seit dem 18. kommt etwas hinzu:
das Interesse an der geistigen Bedeutung des
Bildes. Man begnügt sich nicht mehr mit der
Bewunderung vollendeter Perspektiven, illusio-
nistischer Vollkommenheiten oder prächtiger
Kolorite, souveräner Zeichenkünste; man er-
wartet vom Bilde nun besonders einen geistigen
Gehalt, den man bald als moralischen Wert des
Bildes anspricht, bald als den poetischen Zauber,
bald als den gedanklichen Sinn. Wohl lobt man
die Künste der „Nachahmung"; wohl aner-
kennt man das Vermögen, den „Baumschlag"
zu geben, etwa nach der „Manier" der Ruys-
dael oder des Berchem; man lobt das „Leben"
eines Bildes (und meint damit die naturalistische

Suggestion). Aber darüber hinaus wünscht man
sich „Erhebung" durch das Bildwerk, sittliche
Läuterung des Gemüts durch den Anblick der
Kunst, Befruchtung des Geistes durch die idea-
lische Gewalt eines Bildwerks. Man wünscht
gelegentlich auch Stärkung bestimmter sozialer,
politischer Instinkte und Ideen; so Diderot im
Interesse des unruhigen Bürgertums von der
Zeit vor 1789. Und freilich: man erhebt auch
die Forderung nach dem „Stil". Der Begriff
des Stils ist, wo er in der bewußten Kritik
zuerst eine Rolle spielt, klassisch gestimmt.
Er kommt von Winckelmann her, dem Ahnherrn
der klassischen Archäologie. Er kommt aus der
Kenntnis der Griechen, Römer und Etrusker.
In der Ära des ersten Napoleon wird der Stil-
begriff von der Produktion, vom allgemeinen
Geschmack, vom liebhaberischen Urteil auch
ein wenig aufs Ägyptisch-Monumentale hinüber-
gestimmt; die Ägyptologie des Champollion
hat angefangen; das Empire begünstigt sie —
pharaonenhaft, wie es ist.

Die Kritik umspannt demnach schon vor dem
19. Jahrhundert alle Möglichkeiten: sie fragt

XXXI. Juli 1928. 4
 
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