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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Jubiläumsfeier der "Wiener Werkstätte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0346

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Jubiläumsfeier der Wiener Werkstätte

Wert künstlerischer Arbeit und der Idee wieder-
erkennen und schälen zu lernen.

Wie die „Wiener Werkstätte" diesem Programme
tatsächlich gerecht zu werden vermochte, zeigt uns
der außerordentliche Einfluß, den ihre Arbeiten auf
das gesamte kunstgewerbliche Schaffen nicht nur
des Inlandes, sondern auch des Auslandes auszu-
üben vermochten."

Es folgten noch viele längere und kürzere
Ansprachen, in denen das Werk der „Wiener
Werkstätte" stets von anderer Seite beleuchtet
und aufs wärmste gewürdigt wurde. Besonders
bemerkenswert waren die Ausführungen von
Sektionschef Dr. Vetter, der als Vertreter der
Konsumenten sprach, also „derjenigen Men-
schen, die dauernd in Gesellschaft von Werken
der Wiener Werkstätte leben". Er entwickelte
im wesentlichen die folgenden Gedanken:

. . . „Tatsächlich gehört es ja zu den wesent-
lichsten Eigenschaften eines Unternehmens von der
Art der „Wiener Werkstätte", daß seine Kunden-
schaft nicht eine Masse von anonymen
Beziehern ist, sondern daß vielmehr nur aus
dem engen und persönlichen Verkehr zwischen der
Werkstätte als Produzentin und ihren Kunden als
Konsumenten jene Höhe, Reife und Eigenart der
Produktion erblühen können, die die Werkstätte
auszeichnen. Ich will damit sagen, daß Entwicklung
und Wesen der „Wiener Werkstätte" nur dann
zu begreifen ist, wenn man sich vor Augen hält,
daß die wichtigsten Konsumenten der „Wiener
Werkstätte" — die Freunde aus dem Auslande
mögen darüber nicht böse sein! — Wiener Fa-
milien, Wiener Menschen gewesen sind und daß
sich gerade in den entscheidenden Fällen der Ab-
sarjverkehr der „Wiener Werkstätte" ohne Ver-
mittlung des Handels unmittelbar zwischen
dem Erzeuger und dem dauernden Besirjer des
Produktes abspielen mußte. Ich darf behaupten,
daß die im Kreise der „Wiener Werkstätte" schaf-
fenden Künstler aus den Reihen der Wiener Käufer
die stärksten Anregungen erhalten haben, daß also
auch sie ihnen ebenso als Gebende wie als Emp-
fangende gegenüberstanden. Und so wird es hoffent-
lich auch in Zukunft sein: der Kern des Käufer-
publikums der „Wiener Werkstätte"
muß wienerisch bleiben! Nur so werden
ihre Produkte Stil und Charakter bewahren und
wird eine Gefahr vermieden werden, die heute etwa
schon in manchen Zweigen des Pariser „Kunstge-
werbes" droht, das, weil es in großem Umfang für
den amerikanischen Markt arbeitet, aus einer An-
gelegenheit der französischen Kultur zu einer An-
gelegenheit des französisch-amerikanischen Ge-
schäftes zu werden im Begriffe steht.

So war, ist und bleibt das Schicksal der „Wiener
Werkstätte" mit dem Schicksal unserer Stadt Wien
unlöslich verknüpft. Wer einmal so recht Kunde
der „Wiener Werkstätte" geworden
war, der bleibt es auch, bleibt es, so lange
er nur kan n."

Tief empfunden und aus echtem künstleri-
schem Geiste geboren, waren auch die Gedanken
über die Tradition, die Dr. Vetter an seine ein-
leitenden Ausführungen anschloß:

„Das bringt mich dazu, mit einigen Worten
des Verhältnisses der „Wiener Werkstätte" zur
künstlerischen Tradition zu gedenken. Dieses
Verhältnis wird allzu oft mißverstanden. Nichts lag
den führenden Künstlern, den lebenden und den
dahingegangenen, derer wir uns mit Wehmut er-
innern, nichts lag den führenden Künstlern und den
führenden Konsumenten der „Wiener Werkstätte"
ferner, als die Werke der Vergangenheit gering
zu achten. Ich für meinen Teil kann vielmehr er-
klären (und ich habe Zeugnisse dafür, daß es auch
vielen anderen so ging), daß ich durch gar keine
anderen Einflüsse so stark zur ehrfürchtigen Be-
wunderung des echten Alten angeleitet worden
bin, als durch das Verständnis des echten Neuen
in den Erzeugnissen der „Wiener Werkstätte"; durch
nichts ist uns mehr Achtung vor der Qualität der
Werke vergangener Zeiten, einer Qualität, die wir
entweder nicht mehr haben oder erst wieder ge-
wonnen haben, beigebracht worden, als durch die
Liebe zu den Menschen und den Dingen der
„Wiener Werkstätte"; nichts hat uns die Ferne
und die Verschiedenheit der früheren Kulturen
tiefer erleben lassen, nichts aber hat uns auch des
Eigenen, des unserer Zeit Gehörigen so bewußt
gemacht und durch nichts anderes sind wir, gerade
vermöge dieses Selbstbewußtseins, in unserem
Innern so versöhnt, so tolerant gegenüber dem
Alten geworden. Die „Wiener Werkstätte" hat
bei ihren Konsumenten ungemein viel zur Erziehung
des richtigen Zeitbewußtseins getan, womit
ich sagen will, daß es — wie es ein Heimatsgefühl
gegenüber der Erde und dem Ort gibt, auf
dem man aufgewachsen ist — daß es auch ein
Heimatsgefühl gibt gegenüber der Zeit, in der man
geboren ist und der gegenüber man sich zum Be-
jahen und zum Bekennen verpflichtet fühlt. Ist
dieses Zeitbewußtsein einmal in einem Menschen
wahrhaftig reif geworden, dann ist er auch, so
meine ich, ehrfürchtig gegenüber allem echten
Alten und bleibt intolerant nur gegenüber dem
Unechten, dem Nachgemachten, dem Zeitfremden."

Wertvolle Gesichtspunkte erörterte der Ver-
treter Schwedens, indem er in äußerst sympa-
thischer Weise auf die Frage der Internationali-
tät der Kunst einging:

. . . „Die „Wiener Werkstätte" hat in den ver-
flossenen Jahren vor aller Welt dem Wesen von
Wien und Österreich einen Ausdruck gegeben, den
es kaum früher durch sichtbare Dinge erhalten
hatte. Durch die Musik hat diese Stadt und dieses
Volk ja für alle Zeit einen Plarj in den Herzen
aller Schönheitsempfindenden bei allen Völkern
gewonnen. Was auch sonst gespielt wurde — bei
den Tönen von Mozart, von Schubert, von Johann
Strauß horchte man auf und die Gesichter leuchte-
ten von Traumseligkeit, lächelten vor Freude.
 
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