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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Barchan, Pawel: Dora Gordina
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0057

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DORA GORDINA

Sie sieht so aus, als ob sie sich selber gemacht
hätte. Eine kleine, kräftige, gedrungene
Gestalt; satte Sachlichkeit; knapp bemessen,
abgeschlossen, abgerundet; vereinfachte For-
men; gleichsam auch auf Querschnitt berechnet.
Als hätte sie sich unter eigner Leitung, unter
ständiger selbstiger Kontrolle gebildet und ent-
wickelt. Keine Nebensächlichkeit, keine Sächel-
chen, keine Nuancen. Es ist, als ob, gleich der
Bildung eines Himmelskörpers, durch schnelle
Rotierung ein Volumen entstünde. In der satten
Knappheit alles stimmend, alles sicher. Ein
Stück primitiven Bauerntums, sehr unkompli-
ziert, durch Bewußtheit und Intellekt stabilisiert.
Kurz, ein wahrhaft plastisches Produkt.

So sieht sie nun aus! So, als hätte sie sich
selber gemacht. So ist sie und so empfindet
sie sich. Diese Empfindung also ist es. Um
nun gleichfalls in „vereinfachten Formen" zu
sprechen: wenn man von jemand, einem bilden-
den Künstler, sagt, er sähe wie von ihm selbst
geschaffen aus, dann ist quasi und gewisser-
maßen das Umgekehrte der Fall. Bedeutet;
jemand, der bildende Künstler, macht seine
Sachen so, weil er selber so aussieht. „Spieg-
lein an der Wand." Analoges in der Literatur.
Aktuelles Beispiel: Hamsun. Nur geht es in
der Literatur auf „Inneres". Doch wäre solche
Trennung, solche Gegensätzlichkeit dumm. Ge-
wiß, Entgegengesetztes gibt es auch. Das heißt:
Jemand schafft so — wie er aussehn möchte,
also genau so um sein Selbst kreisend. Klein
gewachsene Künstler sind auf Monumentalität
versessen. Von Natur kümmerlich ausgestattete
Wesen „träumen von Schönheit", wie man ehe-
mals sich ausdrücken würde. Wir empfinden
diese Gier, seine Natur zu korrigieren schier als
„corriger Ia fortune", diese Sehnsucht nach
dem nicht ausgetragenen Ich bisweilen als auf-
dringlich, als verlogen. Es wirkt gewissermaßen
wie ein Wechsel ohne Deckung. Anderseits
aber, und dies bei ernsten, zu Kämpfen ge-
borenen Geistern erreicht es einen ergreifenden
Ausdruck, ja, einen tragischen Ton. Nun gibt
es rare, kostbare Fälle, wo Einer das, was er
ist, und das, was er sein möchte, zu einem un-
erschütterlichen Ganzen fügt — und, um wie-
derum ein Zeugnis aus der Literatur herbeizu-
holen, sei Dostojewski heraufbeschworen, der
sein wirkliches Selbst, das eine Scheußlichkeit
war, schlecht, boshaft und gar nicht groß, ver-
riet und aufdeckte und mit einem leidenschaft-
lichen, leidensvollem Geiste, mit dem, wozu er

sich zeitlebens durchläutern wollte, zu einem
Heldenlied anschwellen ließ: was da heißt, ein
Kämpfer sein.

Nun bescheidentlich zurück zur Gordina.

Es ist nicht, als ob sie nun so einfach „die
Wirklichkeit abzuschreiben" braucht, sich selber
übertragen. Ihre so gar nicht geistreichelnden
(und wieviel Geistreichelei, Spielerei wird heut-
zutage in der Plastik und um die Plastik herum
getrieben!), ihre so ernst, langsam, peinlichst
gewissenhaft erwogenen, durchdachten, durch-
arbeiteten, weise geschichteten Plastiken zeugen
von Selbstzucht und bedächtigem Weg. Ihre
Werke (und dank der Akkuratesse ihres Ar-
beitens gibt es deren nicht viele!) tragen den
Stempel des Gereiften. Und dies macht auf
den ersten Blick stutzig: Eine recht junge Künst-
lerin und schon reife Werke! Und doch ist es
so. Es ist keine „Mache", kein „Bluff", nicht
„äußerlich". Der Grund wird wohl vor allem in
der Weiblichkeit liegen. Es ist nun mal eine
Tatsache, daß schaffende Frauen im Kampf um
den Ausdruck ihrer Persönlichkeit leicht und
schneller siegen als der Mann. Erschreckend
leicht und erschreckend schnell. Als kämen
sie, sozusagen, gleich fertig zur Welt. Gleich
offenbaren sie ihre Art, wo der Mann durch
einen dornenvollen Weg sich durchringt. Dann
aber macht die Frau halt. Verharrt bei ihrer
Art. Zweitens aber die Art der Gordina selber,
ihr „Fach". Im Gegensatz zu vielen Bildhauern
unter ihren Zeitgenossen gebiert ihr Wille zur
Plastik das Werk als abgerundete Körperlich-
keit, als Ganzheit, d. h. sie geht nicht vom
Willen zur Stilisierung aus, nicht von einem
Witz, von einem Einfall. Es ist bei ihr kein
literarischer Prozeß, es ist bei ihr quasi ein phy-
siologischer Prozeß. Nicht aus einem geistigen
Zentrum heraus setzt sich ihr Schaffen in Be-
wegung, nicht aus einem geistigen Zentrum, das
so oft zur Geistreichelei sich verdünnt, sondern
aus einem Zwang zum Handwerk heraus. Mit
schier selbstverständlichem Ernst, mit gleicher
Sachlichkeit geht sie ans Werk — ans Hand-
werk. Und mit der Gereiftheit hat es die-
selbe Bewandtnis wie mit dem Können, mit der
Virtuosität. Sie alle beide sind angeborene
Qualitäten. Genau wie nicht jeder, wieviel, wie
fanatisch emsig er auch arbeiten mag, es nicht
zum Virtuosentum bringen kann, genau so kann
nicht jeder, und wenn er ein tizianisches Alter
im Schaffen erreicht, zu jener Gereiftheit sich
kristallisieren............ pawel barchan.
 
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