MAX[M KOPF—PRAG
GEMÄLDE »LIEGENDE FRAUEN <<
EHRFURCHT
Eine der höchsten menschlichen Haltungen
ist die des Verehrens, also der gläubigen,
bejahenden Hingabe an ein Wesen oder eine
Leistung. Nur der Unverstand glaubt, daß im
Verehren Unterordnung, im Sinne von Unter-
würfigkeit liege. Das Gegenteil ist der Fall:
Ehrfurcht ist ein Weg, unsere Existenz gegen-
über dem Hohen und Bedeutungsvollen zur
Geltung zu bringen, Ja, sie ist sogar der ein-
zige Weg zu diesem Ziel. Niedrige Gesinnung
verfällt, um dieses Ziel zu erreichen, in die Hal-
tung des Neides oder der Verkleinerung. Sie
glaubt sich dem Hochwertigen dadurch anglei-
chen zu können, daß sie es herabzieht und zer-
pflückt. Aber dieses niedrige Verfahren führt
in keinem Falle, einerlei ob es glückt oder nicht
glückt, zu der gewünschten Erhöhung der eige-
nen Persönlichkeit. Denn wenn es unserem
Neide gelingt, etwas Hohes klein zu machen,
dann haben wir weiter nichts erreicht, als daß
wir es herabgezogen und unsrer eigenen Nied-
rigkeit gleich gemacht haben. Glückt uns das
Unternehmen aber nicht, so bleiben wir desto
grausamer, als erklärte und zurückgestoßene
Neider, in unsre vorige Nichtigkeit gebannt. . .
Dagegen liegt in der Haltung der Ehrfurcht
immer zugleich ein hoher Anspruch. Indem
wir etwas Wertvolles verehren, erheben wir,
wenn auch unbewußt, den Anspruch, der Wert-
welt, der es angehört, auch für unsre Person
angeschlossen zu sein. Mindestens erheben wir
den Anspruch, das Hohe zu verstehen, also
von ihm ein Wissen zu haben, und nicht nur
ein Wissen, sondern auch eine verwandtschaft-
liche Liebe zu ihm, eine Nähe und eine schick-
salsmäßige Verbundenheit. Ehrfurcht besagt,
daß wir imstande sind, das Hohe zu dulden
und sogar zu lieben, weil wir selber zu ihm
gehören. Und so kommen wir zu dem Schluß:
Ehrfurcht gibt vor allem Beziehung zum Ver-
ehrten an, nicht Abstand. Ehrfurcht ist eine
aristokratische, keine sklavische Haltung. Da-
gegen ist es eines der sichersten Merkmale der
mit keiner Wertwelt Verbundenen, daß ihnen
Ehrfurcht nahezu unbekannt ist. Erst wo der
Mensch anfängt, zu einem Wesen oder Ding
„Ja" zu sagen, erst wo er fähig wird, sich vor
dem Hohen zu beugen und es zu verehren, erst
da messen wir ihm eigenen Wert bei. Es ehrt
sich selbst, wer Andres zu ehren weiß. n. t.
GEMÄLDE »LIEGENDE FRAUEN <<
EHRFURCHT
Eine der höchsten menschlichen Haltungen
ist die des Verehrens, also der gläubigen,
bejahenden Hingabe an ein Wesen oder eine
Leistung. Nur der Unverstand glaubt, daß im
Verehren Unterordnung, im Sinne von Unter-
würfigkeit liege. Das Gegenteil ist der Fall:
Ehrfurcht ist ein Weg, unsere Existenz gegen-
über dem Hohen und Bedeutungsvollen zur
Geltung zu bringen, Ja, sie ist sogar der ein-
zige Weg zu diesem Ziel. Niedrige Gesinnung
verfällt, um dieses Ziel zu erreichen, in die Hal-
tung des Neides oder der Verkleinerung. Sie
glaubt sich dem Hochwertigen dadurch anglei-
chen zu können, daß sie es herabzieht und zer-
pflückt. Aber dieses niedrige Verfahren führt
in keinem Falle, einerlei ob es glückt oder nicht
glückt, zu der gewünschten Erhöhung der eige-
nen Persönlichkeit. Denn wenn es unserem
Neide gelingt, etwas Hohes klein zu machen,
dann haben wir weiter nichts erreicht, als daß
wir es herabgezogen und unsrer eigenen Nied-
rigkeit gleich gemacht haben. Glückt uns das
Unternehmen aber nicht, so bleiben wir desto
grausamer, als erklärte und zurückgestoßene
Neider, in unsre vorige Nichtigkeit gebannt. . .
Dagegen liegt in der Haltung der Ehrfurcht
immer zugleich ein hoher Anspruch. Indem
wir etwas Wertvolles verehren, erheben wir,
wenn auch unbewußt, den Anspruch, der Wert-
welt, der es angehört, auch für unsre Person
angeschlossen zu sein. Mindestens erheben wir
den Anspruch, das Hohe zu verstehen, also
von ihm ein Wissen zu haben, und nicht nur
ein Wissen, sondern auch eine verwandtschaft-
liche Liebe zu ihm, eine Nähe und eine schick-
salsmäßige Verbundenheit. Ehrfurcht besagt,
daß wir imstande sind, das Hohe zu dulden
und sogar zu lieben, weil wir selber zu ihm
gehören. Und so kommen wir zu dem Schluß:
Ehrfurcht gibt vor allem Beziehung zum Ver-
ehrten an, nicht Abstand. Ehrfurcht ist eine
aristokratische, keine sklavische Haltung. Da-
gegen ist es eines der sichersten Merkmale der
mit keiner Wertwelt Verbundenen, daß ihnen
Ehrfurcht nahezu unbekannt ist. Erst wo der
Mensch anfängt, zu einem Wesen oder Ding
„Ja" zu sagen, erst wo er fähig wird, sich vor
dem Hohen zu beugen und es zu verehren, erst
da messen wir ihm eigenen Wert bei. Es ehrt
sich selbst, wer Andres zu ehren weiß. n. t.