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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Franz Masereel
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0312

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Frans Mascrccl

FKANS MASEREEL—PARIS

»LIEGENDER FISCHER« 1920

schwor, wenn er nicht müde wurde, etwa gleich
Grosz und Dix die Schmarotzer des Todes in
und nach dem Kriege oder die furchtbaren Da-
seinskämpfe im Reiche des Eros grell anzu-
strahlen — im Grunde ist der Künstler Masereel
immer Lyriker geblieben, Pantheist, berauschter
Gläubiger, hinhorchend auf die „Musik der
Welt". Wohl hat er Mitleid und Haß anklingen
lassen, als die Zeit solche Empfindungen ge-
bieterisch forderte, aber er ist dabei weder zy-
nisch und sadistisch geworden, wie so mancher
in Deutschland, noch moralisch oder sentimen-
tal, denn im Grunde muß er das Leben selbst
in seinen verworfensten Gestalten immer noch
anbeten, statt es mit der Gesinnung des Mora-
listen ganz zu verdammen. Die Poesie, sagen
wir es ruhig: die Romantik gerade im „Alltags-
drama", wie der stammverwandte Maeterlinck
es genannt hat, im Alltagsdrama unserer Tage,
mußte so von Masereel entdeckt werden. Die
Figuren des Lebens erhalten bei ihm eine ge-
heimnisvolle Distanz, und bisweilen ist uns, als
lebe dieser Künstler die Zustände und das Ge-
triebe unserer Tage nicht anders nach, als wie
eine Ballade oder ein melancholisch-schriller
Bänkelsang verschollene Ereignisse meldet.

War Frans Masereel nicht immer ein „Maler",
genauer: ein Maler der „Landschaft"? Auch
die Großstadt, Stein und Asphalt der Höfe,
Schornsteine, Häuserquartiere, Treppengänge
zwischen öden Brandmauern, auch die Leiden-
schaften, die Armut und das Laster, auch Glaube
und Güte mitten unter diesen, auch dies ist ihm
Teil der Welt, Schöpfungsgebilde des Leben-
digen: „Landschaft" mit ihren Dickichten, Wäl-
dern, Sümpfen, Lichtungen und Höhen, Land-
schaft mit ihren Bestien, ihren scheuen schönen
Tieren, ja ihren Nymphen und Feen.

Masereel ist derselbe geblieben, wenn er
heute diese Slädte, krampfigste Ballungen des
Lebenswirbels auf unserem Planeten, immer
häufiger und lieber verläßt. Draußen die alte,
ältere Natur, das Meer und die Erde mit ihren
Geschöpfen, verlangt eine größere, einheitlich
zusammenfassende Spiegelung als sie der Gra-
phik möglich ist. Hier durfte der Maler, der
„Landschaftler" auch im äußeren Sinne, sich
ganz entfalten. Und hier in der Anschauung
zeitloser Natur, vor den Motiven eines Daseins,
denen sich die Malerei von jeher gewidmet hat,
zeigt sich auch das vlämische, altniederländische
Gesicht des modernen Großstädters Masereel. —
 
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