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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 65.1929-1930

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Sch.: Für und Wider der Wohnsachlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9252#0431

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PROF. JOS. FRANK U. DR. OSKAR WLACH

»WOHNZIMMER MIT KAMINPLATZ«

FÜR UND WIDER DER WOHNSACHLICHKEIT

Es sei hier kurz zusammengefaßt, was mir
kürzlich ein Freund im Gespräch über die
neusachliche Wohngestaltung zu bedenken gab.
„Diese Innenräume", sagte er, „sind korrekt
gelöst wie Mathematikaufgaben. Man hat einen
tadellosen Wohnmechanismus, aber kein Heim
mehr im alten Sinne der individuellen Zuflucht,
der Gefühlseligkeit, des sicheren Ports. Nichts
mehr vom sanften Reiz des Zimmers und der
trauten Winkel Raunen, die der Dichter ge-
rühmt hat. Laboratoriumsnüchternheit im Ar-
beitsraum , Hospitalhygiene im Schlafgemach,
sozusagen „vitaminbewußte" Maßgebung im
Speisezimmer. Da stehen Skelettmöbel von
beinah „abstraktem" Linienreiz, man möchte
befürchten, daß man auf Geometrie sitzt oder
sich ausruht. Da sind eingebaute Fächer und
Wandschübe, anstatt der alten Massivmöbel,
nur ganz gelegentlich ist einmal ein kühler Ku-
bus als Raumfresser erlaubt. Dies besagt doch,
daß das Wohngehäuse eher konstruktiv einbe-

zogen als architektonisch ausgestaltet ist; so
haben wir die Theorie vom reinen Raum als
Dreingabe. Gewiß, Bewegungsfreiheit und Luft
sind ein Gewinn, aber wie? Wenn nun die
Luft nicht geladen wäre? Man empfindet vor
diesen Schöpfungen Bestimmtheit, das harte
Geheisch und den trocknen Dienst, aber wo
bleibt denn Stimmung, ein spendender mu-
sischer Lebensreiz? Gesetz und Haltung einer
neuen Wohngesittung sind dargelebt, und der
Zeitgeist verlangt diese Gebärde. Aber was
man vermißt oder zu vermissen scheint, ist das
Beseelte, Füllige, jenes Daseinsgeheimnis, das
aller Abwandlung trächtig ist. Weltanschau-
lich gesprochen, es fehlt etwas an spezifisch
menschlichem Gehalt; der reine Zweckgedanke
hinter der Sache wird allmächtig; er scheint
zwangsläufig alle individuellen und überindivi-
duellen Bezogenheiten des Wohnwesens als
Nebenbelange auszuschalten. Das Wohnen ist
doch, wie das Leben überhaupt, nicht lediglich

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