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6. Norwegische Kunst vom 16. bis zum 18. Jahrhundert

verjüngt, das Bauernhaus in das Festkleid farbfroher Dekoration
hüllte. Schnell schreitet die Entwicklung von vorsichtigen Ver-
suchen zu wachsender Freiheit fort; einzelne führende Meister wer-
den erkennbar, im ganzen aber ist die Bauernkunst ein handwerks-
mäßiger Gemeinbesitz, und nur in seltenen Fällen streifen ihre
Leistungen die Sphäre persönlichen Schaffens. Ihre Lebenszeit
umfaßt nahezu ein Jahrhundert. Sehr empfänglich hat sie sich für
das Rokoko gezeigt, unter dessen Einfluß ihre Farbengebung sich
auflichtete und die breiten, wuchtigen Barockformen lockerer und
zierlicher wurden, und selbst vom Stile Louis XVI. und dem Klassi-
zismus hat sie noch Elemente aufgenommen, um dann die so ge-
bildete Überlieferung ein paar Jahrzehnte lang still weiter zu
pflegen. Allein nach und nach starb der schöpferische Formwille
ab, die lebendige Erfindung erstarrte zu gewohnheitsmäßiger Wie-
derholung, die Träger der alten Überlieferung verschwanden vom
Schauplatze, und die Stilzersetzung des 19. Jahrhunderts hat schließ-
lich der Volkskunst den Todesstoß gegeben1).
Der Aufschwung der Bauernkunst gehört aber zu den Wetter-
zeichen, die das Erwachen Norwegens ankündigten. Auf allen
Gebieten beginnt im 18. Jahrhundert seine Volkskraft zu schwellen.
Das Nationalgefühl verdichtet sich. Die Aufnahme der Ideen
Rousseaus und der der Aufklärung bilden die ersten selbständigen
und bedeutenden geistigen Erlebnisse der Nation seit der Refor-
mation. Unter diesen Einflüssen wird Norwegen kulturell pro-
duktiv. Der dänischen Literatur schenkt es in dem Bergenser
Holberg die Vordergrundsgestalt dieses Zeitraums, und die zu
Kopenhagen in der „Norwegischen Gesellschaft“ von 1772 ver-
einigten Dichter und Schriftsteller bringen frische Fahrt in die
stagnierende dänische Dichtung. Auch im Kunstleben des Bürger-
tums macht sich das Steigen der Flut fühlbar. Das wohlhabende
D Von der Behandlung der gleichfalls reich entfalteten schwedischen
Volkskunst, in die das Studio-Heft „Peasant Art in Sweden, Lapland
and Iceland“ (1910) einen Einblick gewährt, wird hier aus dem Grunde
abgesehen, weil sie in der Geschichte der schwedischen Kunst nur einen
Seitentrieb darstellt und in ihr entwicklungsgeschichtlich nicht die Be-
deutung hat wie die Bauernkunst in Norwegen.
 
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