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7. Dahl
schaftsmalerei einzuarbeiten. Als er 1818 Kopenhagen verließ,
plante er eine große Auslandsreise, deren erste Station Dresden sein
sollte. Es wurde sein Lebensziel. Was ihn dort festhielt, war die
Persönlichkeit und die Kunst Kaspar David Friedrichs, in der er
sein bisher ihm wohl nur ahnungsweise vorschwebendes Ideal ver-
wirklicht fand: eine Erfassung und Darstellung der Natur durch
das Medium tiefpersönlichen Erlebens. Friedrichs Einfluß auf Dahl
ist in Motivenwahl und Auffassung oft und lange greifbar, aber
schließlich war der Norweger doch von so kräftigem Eigenwuchse,
daß die Individualität seines Talentes sich immer freier entfalten
und er sich einen eigenen und gleichberechtigten Platz neben
Friedrich erringen konnte. Sein Seelenleben, seine Phantasie, über-
haupt die Dichternatur in ihm war weniger mächtig und glühend
als Friedrichs; er war nüchterner, sachlicher, er empfand die Natur
körperhafter als jener, und er war ihm und allen Zeitgenossen über-
legen in dem Gefühle für das mächtige, in sich ruhende, allem
Menschenwerk und Menschenwesen fremde Leben einer Urnatur.
Das war sein norwegisches Erbe, das er mit Festigkeit wahrte, und
als er 1820—21 auf Einladung des Prinzen Christian Friedrich von
Dänemark in Italien weilte, da hielt er, wie Schnorr von Carolsfeld
bezeugt, auch dort „eigensinnig an seiner nordischen Richtung
fest“. So liegt es im natürlichen Sinne seines Lebensganges, daß er
in den vollen Besitz seiner Kunstmittel erst dann kam, als er sich
aus dem Umgänge mit seiner Heimat neu befruchten konnte. Das
geschah auf den fünf Reisen, die er in den Jahren 1826—1850 nach
Norwegen unternahm, und von denen er mit reichgesättigter An-
schauung zurückkehrte. Die Gefahr, mit der er immer zu kämpfen
gehabt hat, war die, sich zu sehr an die Fülle der mit feinster Liebe
beobachteten Einzelheiten zu verlieren; seine Entwicklung zeigt,
daß er diese Gefahr erkannt und mit beharrlichem Bemühen nach
großer Ordnung der Massen und geschlossener Gesamtwirkung ge-
strebt hat, und schließlich steht die Sache so, daß in seinen gelun-
gensten Arbeiten, zuerst in kleineren, wie dem „Saeteridyll“ von
1827, späterhin auch in größeren Kompositionen, wie dem „Helle-
foss“ (1838) und „Fortundalen“ (1842), die strömende Fülle seines
Naturerlebnisses über die Gefahr der Formzersplitterung trium-
7. Dahl
schaftsmalerei einzuarbeiten. Als er 1818 Kopenhagen verließ,
plante er eine große Auslandsreise, deren erste Station Dresden sein
sollte. Es wurde sein Lebensziel. Was ihn dort festhielt, war die
Persönlichkeit und die Kunst Kaspar David Friedrichs, in der er
sein bisher ihm wohl nur ahnungsweise vorschwebendes Ideal ver-
wirklicht fand: eine Erfassung und Darstellung der Natur durch
das Medium tiefpersönlichen Erlebens. Friedrichs Einfluß auf Dahl
ist in Motivenwahl und Auffassung oft und lange greifbar, aber
schließlich war der Norweger doch von so kräftigem Eigenwuchse,
daß die Individualität seines Talentes sich immer freier entfalten
und er sich einen eigenen und gleichberechtigten Platz neben
Friedrich erringen konnte. Sein Seelenleben, seine Phantasie, über-
haupt die Dichternatur in ihm war weniger mächtig und glühend
als Friedrichs; er war nüchterner, sachlicher, er empfand die Natur
körperhafter als jener, und er war ihm und allen Zeitgenossen über-
legen in dem Gefühle für das mächtige, in sich ruhende, allem
Menschenwerk und Menschenwesen fremde Leben einer Urnatur.
Das war sein norwegisches Erbe, das er mit Festigkeit wahrte, und
als er 1820—21 auf Einladung des Prinzen Christian Friedrich von
Dänemark in Italien weilte, da hielt er, wie Schnorr von Carolsfeld
bezeugt, auch dort „eigensinnig an seiner nordischen Richtung
fest“. So liegt es im natürlichen Sinne seines Lebensganges, daß er
in den vollen Besitz seiner Kunstmittel erst dann kam, als er sich
aus dem Umgänge mit seiner Heimat neu befruchten konnte. Das
geschah auf den fünf Reisen, die er in den Jahren 1826—1850 nach
Norwegen unternahm, und von denen er mit reichgesättigter An-
schauung zurückkehrte. Die Gefahr, mit der er immer zu kämpfen
gehabt hat, war die, sich zu sehr an die Fülle der mit feinster Liebe
beobachteten Einzelheiten zu verlieren; seine Entwicklung zeigt,
daß er diese Gefahr erkannt und mit beharrlichem Bemühen nach
großer Ordnung der Massen und geschlossener Gesamtwirkung ge-
strebt hat, und schließlich steht die Sache so, daß in seinen gelun-
gensten Arbeiten, zuerst in kleineren, wie dem „Saeteridyll“ von
1827, späterhin auch in größeren Kompositionen, wie dem „Helle-
foss“ (1838) und „Fortundalen“ (1842), die strömende Fülle seines
Naturerlebnisses über die Gefahr der Formzersplitterung trium-