Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
82

11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen

1870 der junge Gerhard Munthe auf seinen Wanderungen alte
Bauernhöfe, Bauernstuben und Bauernhausrat aufmerksam studiert
und gezeichnet und auf diesem Wege Fühlung mit der altheimischen
dekorativen Überlieferung gewonnen. Auf sie griff nun Munthe,
dessen Persönlichkeit der Naturalismus nie hatte ganz ausfüllen
können, zwei Jahrzehnte später zurück. In Zeichnungen zu Snorres
klassischer Heimskringla, in freien Kompositionen und schließlich
in Entwürfen zu Bildteppichen ging er entschlossen zu einer reinen
Flächenkunst über, die, aller illusionistischen Absichten entlastet,
allein dekorative Wirkung anstrebte. Ihr Stil hat Elemente der
Wikinger- wie der Bauernkunst aufgenommen, bewahrt aber in der
Wahl und Ausnutzung der Motive, wie in der Art der Flächenfüllung
persönliches Gepräge. Munthe stellt den Menschen in den Mittel-
punkt eines ornamentalen Gewebes, in das alle Elemente, Tier und
Pflanze, Meer und Wolken, einbezogen werden. In streng stili-
sierter Form erzählt er alte Heldensagen von Kampfes- und Liebes-
abenteuern oder Volksmärchen. Da sind reisige Wikinger auf ihren
Langschiffen, kühne junge Helden, züchtige Jungfräulein, bösartige
Riesen und Trolle; da sind Königshallen und Bauernhöfe und die
weite See. Die Erzählung wird in einem Bilde zusammengefaßt
oder in übereinander angeordneten Streifen vorgetragen; alle zur
Verwendung gelangenden Formen aber nehmen an ihr teil, die
ornamentalen Rahmen oder Füllungen empfangen symbolischen
Bezug zu ihr, die Farbe, die gleichfalls durchaus flächig stilisiert
ist, gibt ihre Stimmungswerte bei. Von der Weberei ausgehend
dehnte Munthe nach und nach sein Schaffen auch auf andere Werk-
künste aus; sein Großwerk hat er in der Ausstattung der erneuerten
Häkonshalle zu Bergen vollendet. Erregte nun diese unnaturali-
stische Flächenkunst anfänglich Befremden, so erkannte man doch
bald die Anknüpfung an die Schöpfungen der altnordischen Kunst,
man fand ihren Geist in den Bauernwebereien und Bauernmalereien
wieder, und wenn hierdurch das nationale Gefühl angesprochen
wurde, so kam die reiche gemütvolle Phantasie der Arbeiten Munthes
der eben erwachenden romantischen Stimmung entgegen; sie wurde
als neuer frischer Trieb am Baume der norwegischen Kunst emp-
funden und bildete den Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung
 
Annotationen